Montag, 15. August 2011
Kleinode deutschsprachiger Musik (16): Ja, Panik - DMD KIU LIDT (2011)
In einer losen Serie stelle ich Werke vor, die vordergrĂŒndig eines gemeinsam haben: Sie wurden in deutscher Sprache verfasst. Das alleine ist natĂŒrlich keinerlei QualitĂ€tskriterium. Nein, mich interessiert ein kreativer Umgang mit selbiger.
Ja, Panik |
Was fĂŒr ein epochales Werk! Ehrlich, ich war geplĂ€ttet, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Mit dem Album DMD KIU LIDT haben sich Ja, Panik sowieso selbst erneut ĂŒbertroffen. Es gibt viele tolle Ideen, viele tolle Umsetzungen der Ideen, und eben dieses 14 Minuten lange geniale Meisterwerk, welches Abschlusslied und Namensgeber des Albums ist.
Andreas Spechtl kommt einem, wenn er redet, immer etwas verstrahlt vor, um es mal vorsichtig zu formulieren. Wenn man das mit solchen scharfsinnigen, pointierten und komplexen Texten vergleicht, muss man sich doch wundern, was fĂŒr ein groĂer Unterschied zwischen gesprochenem Wort und Dichtkunst liegt. Dieses Werk stellt den bisherigen Zenit seiner lyrischen Schaffenskraft dar.
Es braucht seine 14 Minuten (Ok, 20 Minuten, aber die letzten 6 Minuten sind Stille, was selbstverstĂ€ndlich auch zum Lied gehört.), weil der 3-Minuten-Popsong keine Möglichkeit bietet derart komplexe ZusammenhĂ€nge und Geschichten zu erzĂ€hlen. Man ist gewohnt kleine Ausschnitte, Episoden zu hören, aber nicht die Genese einer Sinnsuche ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum mit dermaĂen vielen Facetten und Details. Der Text hat einige recht pathetische Stellen, aber das lĂ€sst sich wohl schwer vermeiden, wenn man so schonungslos selbstreflexiv arbeitet.
Es ist wohl so, dass man abfÀrbt, solang' man lebt, und man nimmt von anderen Dinge an.
Also nimmt man andere mit, wohin man geht, und man muss schauen, wie man den Dreck wieder loswerden kann.
Die Bedeutung der AbkĂŒrzung ist vermutlich bekannt, bevor das Lied zum ersten mal angehört wird - Die Manifestation des Kapitalismus in unseren Leben ist die Traurigkeit. Dieser Satz lĂ€sst einen so fĂŒr sich verwirrt zurĂŒck. Er klingt sehr richtig und man will sofort zustimmen, aber dann bekommt man doch Probleme ihn sinnvoll zu fĂŒllen. Genau das schafft Andreas Spechtl. Peu Ă peu konstruiert er den Inhalt, geht dabei sehr langsam und detailversessen vor und erzeugt mit Stimme und Wort eine kontinuierliche Steigerung.
Das Lied hat, wie es sich fĂŒr einen qualitativ wertvollen, gut 500 Worte langen Essay gehört, eine Einleitung und ein Fazit. Dazwischen beschreibt er verschiedene Episoden, die allesamt im groben Rahmen mit Sinnsuche zu tun haben, und jedes Mal bleibt als Zwischenfazit DMD KIU LIDT. Und je mehr Strophen man hört, desto konkreter wird das Bild von dem, was gemeint ist. Auch er selbst wird konkreter.
Denn nicht du bist in der Krise, sondern die Form, die man dir aufzwingt.
Bleibt der Text lange Zeit zum gröĂeren Teil deskriptiv (eine Ausnahme bilden die kurzen, englischsprachigen Refrains), so wechselt der Inhalt nach knapp 10 Minuten zu mehrheitlich normativen Aussagen. Am Klimax, nach elf Minuten, schlĂ€gt einem dann nur noch diese bloĂe Wut in Form von VorwĂŒrfen entgegen. Es wird zu RadikalitĂ€t aufgerufen, die nur kurz spĂ€ter in Resignation mĂŒndet.
Das Ende bleibt offen. Zwar stĂŒtzt jede Auseinandersetzung mit dem System das System; dazu im Widerspruch kĂŒndigt er ganz zum Schluss selbst noch weitere Strophen an - und dann hört man 6 Minuten Stille.
Was nun? Schwer zu sagen. Die Flucht gelingt nicht. Letztendlich bleibt die Wahl zwischen Resignation und RadikalitĂ€t. Beides sind allerdings nur Möglichkeiten zur kurzfristigen ProblembewĂ€ltigung. Es Ă€ndert nichts an den UmstĂ€nden. Auch wenn Angela und Nicolas Briefbomben empfangen, so Ă€ndert das doch nichts an der Manifestation des Kapitalismus. Im Gegenteil, als Problemlösungsansatz sind Attentate dem allergröĂten Anteil der Bevölkerung nicht zu vermitteln und eröffnen nur TĂŒr und Tor fĂŒr noch mehr freiheitseinschrĂ€nkende Gesetzgebungen, mit denen der Staat aus Gegenwehr selbst legitim zum Terroristen wird. Resignation fĂŒhrt in Depression bzw. Anpassung. Und wie wir in Die fetten Jahre sind vorbei gelernt haben, macht man dann irgendwann das Kreuz bei der CDU.
...es wĂ€r' an der Zeit aufzuhören, das bisschen Kling Bim, Lalala fĂŒr gar so wichtig zu halten, gilt es doch nach wie vor eine Welt zu zerstören...
Vielleicht ist der Mittelweg der einzig gangbare, Andreas. Aufgeben und anpassen ist keine Lösung, aber subtilerer Protest als Bomben bauen ist langlebiger, ergiebiger und befriedigender. Ob nun in Kreuzberg Benzes angezĂŒndet werden oder nicht - ich verstehe die innere Genugtuung und die Symbolkraft, aber letztendlich bewirkt es das Gegenteil vom Gewollten und macht deshalb eigentlich noch unglĂŒcklicher.
Der Trend des Sommers ist z.B. auf CDU-Partys zu gehen, zu denen öffentlich alle Menschen eingeladen wurden, und ihnen ein biĂchen Gesellschaft zu leisten. FĂŒr viele weitere gute Tipps ist Martin Sonneborn sicherlich der richtige Ansprechpartner. Generell finde ich gewaltlose Guerilla-Aktionen durchaus effektvoll, wertvoll und spaĂig. Sie fördern zudem die KreativitĂ€t und sind somit wichtiger Bestandteil kĂŒnstlerischen Ausdrucks.
Das mag vielleicht auch nur ein Placebo sein, aber immerhin hat es eine spĂŒrbare Wirkung gegen die Traurigkeit im Kapitalismus, auch wenn ich nicht in UnglĂŒcklichkeit versinken wĂŒrde wenn jemand Nachts ein menschenleeres Axel-Springer-Haus niederbrennt.
Das mag vielleicht auch nur ein Placebo sein, aber immerhin hat es eine spĂŒrbare Wirkung gegen die Traurigkeit im Kapitalismus, auch wenn ich nicht in UnglĂŒcklichkeit versinken wĂŒrde wenn jemand Nachts ein menschenleeres Axel-Springer-Haus niederbrennt.
Letztendlich hab' ich meine Koffer gepackt,
hab' ein Ticket gelöst und bin weit gefahren
Ich hab' aufgeschrieben, was ich lang vergessen hab'
auf der Suche nach ein paar verlorenen Jahren
Unterm Strich war ich nicht öfter oben als unten,
aber ja, ich war nie mittendrin
Ich bin ausgezogen in Sachen Liebe und Hass
Ich kann nicht sagen, dass ich wieder gut heimgekommen bin
And now there is nothing
where I used to sit
but DMD KIU LIDT
Was da jetzt kommt,
wird mich nicht mehr verlassen,
das weiĂ ich und ich weiĂ noch viel mehr
Oh, ich hab' verprasst, was es gab zu verprassen,
die Tage, die kommen,
die werden lang sein und leer
Oh, ich werd' erstmal meine TĂŒr fest verriegeln
und die Fenster am besten gleich auch
Und dann werd' ich mich schrecklich lang niederlegen
Ich spĂŒr' schon was Kaltes, einen eisigen Hauch
I'm afraid this is nothing
but the old dirty trick
You know, DMD KIU LIDT
Vielleicht schau' ich mal 'rĂŒber zur Grande Dame gegenĂŒber,
vielleicht kommt manchmal Hanky vorbei
Ich werd' sagen: "Hanky,
wie geht's der Welt da drauĂen?"
und Hanky wird lĂŒgen, wird sagen: "Alles okay"
Wenn's dunkel ist, werd' ich dann meine Boots rausholen
und selbst schauen, was da drauĂen so geht
Ich werd' schnell merken, sie haben uns mehr als die StraĂe gestohlen
und das sagt da jemand,
der on the road klebt
This is no adventure, not even a trip
This is DMD KIU LIDT
Ich bin dann also wirklich rausgegangen
Mir war mehr kalt als heiĂ, aber gut
Es hat sich gelohnt nochmal anzufangen
Es ist doch nichts schöner, wenn man's teilt, als die Wut
Und ich rauch' mir eine an und ich schau' mich mal um
Ja, es stimmt, auf Susis Parties
sind die schönsten Jungs am tanzen und die coolsten sowieso
und ich dance, bis die Antwort auf die Frage nach dem allerschönsten klar ist
You think all these nights have made you feel sick,
but it's DMD KIU LIDT
Ein paar Tage spÀter bin ich aufgewacht,
am anderen Ende im Osten der Stadt
Ich weiĂ nicht mehr, wer hat mich hierher gebracht
und kann es sein, dass man mich heimlich ausgetauscht hat?
Es ist wohl so, dass man abfÀrbt, solang' man lebt,
und man nimmt von anderen Dinge an
Also nimmt man andere mit, wohin man geht,
und man muss schauen, wie man den Dreck wieder loswerden kann
There is nothing I can do
Everything I do
is for the benefit of DMD KIU LIDT
Ich hab's dann erst einmal gut sein lassen,
wollte sehen, was passiert,
wenn man weiter als weit weg fÀhrt
Oh, wie schnell doch all die Bilder verblassen,
wenn man Europe endlich den RĂŒcken kehrt
Hab' mir mit groĂen Augen die Welt angesehen,
doch in Kairo hat's mich schon erwischt,
in New York City war ich dann kurz vor'm Durchdrehen,
erst in Rio kam ich runter
Man gab mir Baldrian und Haschisch
No, nothing could change nothing,
not a little bit,
I'm lost in DMD KIU LIDT
Ich weiĂ nicht, wann, doch ja,
ich kam wieder in die Stadt,
obwohl, allzu viel war's nicht, das noch da war
Man fragt mich, wer, man fragt mich, was mich denn so zugerichtet hat
und ich muss zugeben, so ganz ist es mir auch nicht klar
Ich hab' versucht, es aufzuschreiben und
versucht, es auszudrĂŒcken,
aber es wollte sich nicht wirklich denken lassen
Falls ich denn leben muss, werd' ich wohl damit leben mĂŒssen,
das ist mein Rahmen und mein Passepartout,
nur da rein werd' ich je passen
There is a fire that I have lit,
named DMD KIU LIDT
An einem Freitag treff' ich sie dann wieder
bei Freunden von Freunden, wie man das ja so kennt
Ihr Blick ist dunkel, schwer hÀngen die Lider
Ich zucke kurz zusammen, als sie mich beim Namen nennt
Ich sag': "Na schau her, ist das dein neuer Lover,
der Schatten da in deinem hĂŒbschen Gesicht?"
Tja, die Zeiten, die sind hart, modern und immer auch bitter,
und wie man sich's dachte, so passiert's dann meistens doch nicht
You look somehow in love,
but you also look sick,
I'm sure you sleep with DMD KIU LIDT
„DMD, wie bitte? Ich verstehe kein Wort.“
Sie sieht mich entgeistert an
"Ja, es ist schwer nur zu erklÀren, man begreift's nicht sofort,
es ist so etwas wie ein verinnerlichter Zwang,
einer, den man schon gar nicht nicht mehr benennen kann.
Manche sagen auch, es ist viel eher ein Opiat,
ein Ablenkungsmanöver, du hast vielleicht davon gelesen."
„Na ja, ich kenn' schon Theorien dieser Art,
aber dieses seltsame Wort, das ist nie dabei gewesen.“
So I grab my guitar just to sing her the smash-hit
You know, DMD KIU LIDT
„Oh, pretty personal“, meint sie erstaunt
Nein, es ist nicht grad ein Pamphlet
Sie sieht mich an und sagt:
„Du hast doch immer geglaubt,
dass es um mehr als die eigenen paar problems geht.“
Ja, aber exakt genau, genau das ist der Punkt,
dass all uns're problems wie unsere ganz eigenen paar scheinen
Die ausstaffierten leeren Tage voller Inhalt, ohne Grund
und die Stunden in den Zimmern,
in denen wir einsam jemand nachweinen
WeiĂt du, ich bin mir langsam sicher und das ist gar nicht personal,
die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen,
denn was und wie man uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint,
es sind die RĂ€nder einer Zone, die wir im Stillen alle bewohnen
Aber Achtung, Achtung, Achtung, vor der allzu schnellen Heilung,
denn das, was uns zerstört, will uns gleich schon reparieren.
Unser Schmerz, der darf nicht abfallen,
allein er fÀllt mit dieser Ordnung,
die sich verschwört, uns aufzupÀppeln, uns gesund zu amputieren
Und doch fallen wir immer wieder alle, alle darauf rein,
auf die Pillen, auf den Doktor, auf die Klinik und die Liebe
Man ruft Geister hier ins Leben,
die Lebendigen, die grÀbt man ein
und schimpft sie Terroristen, Deserteure, nichtsnutzige Tagediebe
Doch in den besetzten Zonen, in denen wir unser Leben fristen,
werden die Giftler Partisanen, die Suizidanten Anarchisten
Siehst du nicht die fremden MĂ€chte,
die in deinem Körper thronen?
Was ist mit dir,
mit deinem Ich, bekommt es nicht ĂŒberall Risse?
Doch das ist gut so, denn du bist nichts, auĂer tausend von Versionen
Du bist wie, wann und wo in welcher Stimmung, welcher Kulisse
Wenn du unvermutet losheulst, kannst du spĂŒren, dass was nicht stimmt
Doch zieh' nicht die falsche SchlĂŒsse,
mach' dir erstmal keine Sorgen, denn nicht du bist in der Krise, sondern die Form, die man dir aufzwingt,
atomisierte Einsamkeiten im Westen, Osten, SĂŒden, Norden
Bis zum Rand voll mit Strategien rennst du als Fremder durch die Welt,
und dass du nichts dagegen tust,
ist eine dieser Strategien
Du stammelst was von Pazifismus und lĂ€sst dich ficken fĂŒr ein Handgeld...
und du hast nicht einmal geschrien
Von mir aus sollen sie Bomben hintragen zu der grauslichen Bagage
Ich werd' nicht daran denken, eine TrĂ€ne zu zerdrĂŒcken,
nicht fĂŒr Angela und ganz sicher nicht fĂŒr Nicolas
Ich werd' viel eher in den Knast Bonbonniere schicken
Du siehst, im groĂen und ganzen ist alles beim alten,
nur dass ich finde, es wird Zeit, einmal aufzuhören, gilt es doch--
Wie gesagt, es ist alles beim alten,
nur dass ich finde, es wÀr' an der Zeit aufzuhören,
das bisschen Kling Bim, Lalala fĂŒr gar so wichtig zu halten,
gilt es doch nach wie vor eine Welt zu zerstören
Jedes Lied davon ein Lied zur Restauration,
die Champagner-Revoluzzer und die Barden ganz in weiĂ
Ihr lÀcherlichen Söldner, ihr habt meinen ganzen Hohn
Ich bin raus und ihr seid drin,
bis zum Kopf steckt ihr im ScheiĂ
Also lass' es mich doch zu Ende bringen
Lass' mich mein seltsames Lied jetzt zu Ende singen
Du kannst zuhören, oder gehen,
nur sei still, ach, sei so lieb,
da kommen noch ein paar Strophen,
an denen mir mehr als an allen anderen liegt
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