Freitag, 18. November 2011
Kleinode deutschsprachiger Musik (29): Franz Josef Degenhardt - Deutscher Sonntag (1965)
In einer losen Serie stelle ich Werke vor, die vordergründig eines gemeinsam haben: Sie wurden in deutscher Sprache verfasst. Das alleine ist natürlich keinerlei Qualitätskriterium. Nein, mich interessiert ein kreativer Umgang mit selbiger.
Franz Josef Degenhardt |
Am 14. November 2011 verstarb Franz Josef Degenhardt, und mit ihm ein deutschsprachiger, linker Nachkriegsliedermacher, der richtungsweisend für so viel nach ihm war. Er brachte es auf eine 30 Alben lange Musikerlaufbahn, und doch ist der breiten Öffentlichkeit nur ein einziges Lied im Gedächtnis geblieben: 'Spiel nicht mit den Schmuddelkindern'. Ein Klassiker, der sicherlich zum allgemeinen Bildungskanon gehört (gehören sollte). Um im Kontext zu bleiben, aber nicht nur dieses altbekannte Lied anzupreisen, möchte ich an dieser Stelle das Lied 'Deutscher Sonntag' vorstellen. Es erschien auf demselben, ebenfalls Spiel nicht mit den Schmuddelkindern betitelten Album am Vorabend der 68er Kulturrevolution. Mit seiner Veröffentlichung im Jahr 1965 war das Album nicht nur am Puls der Zeit, sondern ihr um einiges voraus. Musikalisch konnte es sicher nur bedingt Soundtrack zur zornigen Jugendbewegung sein, doch inhaltlich trafen die Werke zweifelsohne den Nerv der ersten Nachkriegsgeneration. Als bei Kriegsende 14-Jähriger konnte Franz Josef Degenhardt sowohl auf persönliche Erfahrungen als auch auf die eigene Schuldlosigkeit am Elend aufbauen. Für Nicht-Zeitzeugen ist die Kritik in ihrer Authentizität immer um das selbst Erlebte ärmer, auch wenn sie inhaltlich noch so überzeugend sein mag. Für ihn gibt es diesen zweifelhaften Bonus, wenn man das so nennen möchte. Aus dieser Position heraus fügen sich seine Charakterbeschreibungen der Eltern/Tätergeneration so glaubhaft zusammen. Diese Glaubwürdigkeit ist es, welche dieses Album, und das Gesamtwerk Degenhardts unverdächtig macht einfach eine Pose zu sein.
Ich frage mich, ob es sich bei den im Lied beschriebenen Szenen um Gegenwart oder Zeitgeschichte handelt. Ich bin mir nicht sicher. In meinem sozialen Umfeld gehört es recht eindeutig zur Zeitgeschichte. In den Kleinstädten der Republik - vielleicht insbesondere, aber nicht nur, in den Kleinstädten des Freistaates Bayern, mag die besungene Vor-68er-Welt realer sein als man gemeinhin wahrhaben möchte. Er besingt alles, was am deutschen Spießertum so ekelhaft ist. Die Missgunst, der schöne Schein, nach oben devot sein und nach unten treten, den Reaktionismus, und sicherlich auch die schamlose Übersättigung mit Luxus, auch wenn ich in dem Punkt in meiner Umgebung ebenfalls nicht lange suchen muss. Wenn man dem Text aufmerksam lauscht, macht sich der ungute Gedanke breit, dass diese Welt nicht untergeht / untergegangen ist, sondern sich nur in eine andere Erscheinungsform transformiert hat. Sicher, wie hoch ist der Anteil der sonntäglichen KirchgängerInnen bei Menschen unter 50? Im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts gelten andere Maßstäbe. Monetären Reichtum zu zeigen ist viel wichtiger geworden als Frömmigkeit, aber Obacht! Offiziell hat kaum noch jemand etwas gegen Schwule und Schwarze, wenn ich das mal so inkorrekt ausdrücken darf, aber unter der Decke der Political Correctness gibt es nahezu in jedem Gesprächsverlauf ein 'Ich hab ja nichts gegen die, aber...' und 'Das wird man ja nochmal sagen dürfen.' Der Reichtum kann auch durch andere Identifikationsmerkmale (teilweise) ersetzt werden, denn wenn Bescheidenheit die größte Zierde ist, gilt wohl eher der Grad der Einflussmöglichkeiten als Messlatte. Wie auch immer sich der gesellschaftliche Trend entwickeln sollte, die eigentliche Aussage hat Bestand, nämlich die unerträglichen Ausmaße der Heuchelei in weiten Teilen der Gesellschaft.
Das ist der Kern, den Degenhardt aufzeigte. Es gibt unterschiedliche Realitäten. Den Schein, und das, was wirklich gedacht wird. Der Schein hat sich stark gewandelt im Laufe der letzten Jahrzehnte, aber der deutsche Chauvinismus ist sich weitestgehend treu geblieben. An dem Punkt wären wir wieder beim Einstieg - auch Degenhardt ist sich wie gesagt im Guten wie im Schlechten treu geblieben, nur dass er ehrlicherweise immer auf den Schein verzichtet hat. Solche Charaktere fehlen in der Kulturlandschaft, und überall sonst, denn es braucht aufrichtige Menschen, die öffentlich den Finger in diese Wunde legen. Die Lücke zwischen Schein und Realität kann man wohl Rückgratlosigkeit nennen. Das Problem an der Rückgratlosigkeit ist, dass es auf Dauer unglücklich macht - zumindest unterstelle ich das. Immer wenn ich durch äußere Zwänge nicht dem entsprechen kann, der ich bin oder glaube zu sein, erfüllt mich das mit Unglück. Demzufolge müsste die Spießer-Scheinwelt ein Hort des Unglücks sein. Unter ihrer Fassade werden wehrlose Menschen misshandelt, schikaniert und ausgebeutet. Zudem würde ich behaupten, die Spanne zwischen Schein und Realität geht seit der 1968er-Revolution immer weiter auseinander. Dem würde logisch folgen, dass jene Menschen, welche sich diesen Zwängen unterwerfen, unglücklicher werden. Das ist, zugegeben, nicht gerade wissenschaftlich fundiert, aber ich habe das starke Gefühl, dass an der These so einiges dran sein könnte. Sicherlich führen diese Überlegungen weg vom eigentlichen Inhalt des Liedes, doch insbesondere politischen Texte tut es oft gut nicht antiquarisch behandelt, sondern an der Gegenwart gemessen zu werden, auch wenn diese mittlerweile fünfzig Jahre in seiner Zukunft liegt. Im Jahr 2065 könnte gerne wieder jemand dieses Lied hervor kramen und in die dann herrschende Gegenwart rücken. Es wäre spannend zu lesen. Leider müssen wir darauf noch fünfzig Jahre warten.
Franz Josef Degenhardt kann in Erinnerung behalten werden als Künstler, der die bürgerliche Fassade durchdrang und öffentlich machte, mit einer Gültigkeit weit über die Nachkriegsgeneration heraus. Er wird die richtigen Adressaten nicht erreicht haben, aber er vermochte wenigstens das, was seine HörerInnen nur fühlten, in klare Worte zu fassen. Da frier' ich vor Gemütlichkeit...
Hier im Blog kam das Label Fast Weltweit schon öfters zur Sprache. Zeitlich eine Generation nach Degenhardt haben dort Künstler wie Jochen Distelmeyer, Michael Girke und Bernd Begemann diese Kritik fortgesetzt, besonders schön in Werken wie 'Mitten im Krieg' und 'Deutsche Hymne ohne Refrain'.
Sonntags in der kleinen Stadt,
sonntags in der kleinen Stadt.
Wenn die Spinne Langeweile
Fäden spinnt und ohne Eile
giftig-grau die Wand hochkriecht,
wenn’s blank und frisch gebadet riecht,
dann bringt mich keiner auf die Straße,
und aus Angst und Ärger lasse
ich mein rotes Barthaar stehn,
und lass’ den Tag vorübergehn,
hock’ am Fenster, lese meine
Zeitung, decke Bein mit Beine,
seh’, hör’ und rieche nebenbei
das ganze Sonntagseinerlei.
Tada-da-da-dam ...
Da treten sie zum Kirchgang an,
Familienleittiere voran,
Hütchen, Schühchen, Täschchen passend,
ihre Männer unterfassend,
die sie heimlich vorwärts schieben,
weil die gern zu Hause blieben.
Und dann kommen sie zurück
mit dem gleichen bösen Blick,
Hütchen, Schühchen, Täschchen passend,
ihre Männer unterfassend,
die sie heimlich heimwärts ziehn,
daß sie nicht in Kneipen fliehn.
Tada-da-da-dam ...
Wenn die Bratendüfte wehn,
Jungfraun den Kaplan umstehn,
der so nette Witzchen macht,
und wenn es dann so harmlos lacht,
wenn auf allen Fensterbänken
Pudding dampft und aus den Schenken
schallt das Lied vom Wiesengrund
und daß am Bach ein Birklein stund,
alle Glocken läuten mit,
die ganze Stadt kriegt Appetit,
das ist dann genau die Zeit,
da frier’ ich vor Gemütlichkeit.
Tada-da-da-dam ...
Da hockt die ganze Stadt und mampft,
daß Bratenschweiß aus Fenstern dampft.
Durch die fette Stille dringen
Gaumenschnalzen, Schüsselklingen,
Messer, die auf Knochen stoßen,
und das Blubbern dicker Soßen.
Hat nicht irgendwas geschrien?
Jetzt nicht aus dem Fenster sehn,
wo auf Hausvorgärtenmauern
ausgefranste Krähen lauern.
Was nur da geschrien hat?
Ich werd’ so entsetzlich satt.
Tada-da-da-dam ...
Wenn Zigarrenwolken schweben,
aufgeblähte Nüstern beben,
aus Musiktruhn Donauwellen
plätschern, über Mägen quellen,
dann hat die Luft sich angestaut,
die ganze Stadt hockt und verdaut.
Woher kam der laute Knall?
Brach ein Flugzeug durch den Schall?
Oder ob mit’m Mal die Stadt
ihr Bäuerchen gelassen hat?
Die Luft riecht süß und säuerlich.
Ich glaube, ich erbreche mich.
Tada-da-da-dam ...
Dann geht’s zu den Schlachtfeldstätten,
um im Geiste mitzutreten,
mitzuschießen, mitzustechen,
sich für wochentags zu rächen,
um im Chor Worte zu röhren,
die beim Gottesdienst nur stören.
Schinkenspeckgesichter lachen
treuherzig, weil Knochen krachen
werden. Ich verstopf’ die Ohren
meiner Kinder. Traumverloren
hocken auf den Stadtparkbänken
Greise, die an Sedan denken.
Tada-da-da-dam ...
Und dann die Spaziergangstunde,
durch die Stadt, zweimal die Runde.
Hüte ziehen, spärlich nicken,
wenn ein Chef kommt, tiefer bücken.
Achtung, daß die Sahneballen
dann nicht in den Rinnstein rollen.
Kinder baumeln, ziehen Hände,
man hat ihnen bunte, fremde
Fliegen - Beine ausgefetzt -
sorgsam an den Hals gesetzt,
daß sie die Kinder beißen solln,
wenn sie zum Bahndamm fliehen wolln.
Tada-da-da-dam ...
Wenn zur Ruh’ die Glocken läuten,
Kneipen nur ihr Licht vergeuden,
dann wird’s in Couchecken beschaulich.
Das ist dann die Zeit, da trau’ ich
mich hinaus, um nachzusehen,
ob die Sterne richtig stehen.
Abendstille überall. Bloß
manchmal Lachen wie ein Windstoß
über ein Mattscheibenspäßchen.
Jeder schlürft noch rasch ein Gläschen
und stöhnt über seinen Bauch
und unsern kranken Nachbarn auch.
Tada-da-da-dam ...
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