Mittwoch, 23. November 2011
Kleinode deutschsprachiger Musik (30): Wir sind Helden - Lonely Planet Germany (2011)
In einer losen Serie stelle ich Werke vor, die vordergründig eines gemeinsam haben: Sie wurden in deutscher Sprache verfasst. Das alleine ist natürlich keinerlei Qualitätskriterium. Nein, mich interessiert ein kreativer Umgang mit selbiger.
Wir sind Helden 2011 |
Zugegeben, es handelt sich um einen Sprachenmix. Zugegeben, das Thema Berlin-Depression ist echt nicht neu, nicht einmal in unserer aufbauenden Kleinode-Serie. Klingt so, als sei es für die Serie nicht wirklich nötig. Aber trotzdem sticht das Lied heraus und muss gewürdigt werden, denn allein die sprachliche Gleichsetzung von Berlin mit einem Lonely Planet (...Reiseführer) verdient eine gesonderte Betrachtung. So 1:1 funktioniert das nicht, denn einen einsamen Planeten stelle ich mir sehr reizarm vor, während die Bewohner des Molochs permanent reizüberflutet sind, und das merkt man nicht nur im Straßenverkehr. Wie also passt das zusammen?
Der durchschnittliche Bewegungsradius verhält sich reziprok zur Wohndauer. Am Anfang werden weite Strecken zurückgelegt, die Stadt erforscht (in der Regel innerhalb des S-Bahn-Rings versteht sich) und geschaut, wo es schön und wohnlich ist. Mittlerweile ist die leidige Erfahrung der WG-Suche für viele, mal positiv betrachtet, eine gute Gelegenheit rumzukommen.
Wenn man sich dann aber niedergelassen hat, wirkt nach einer Weile alles außerhalb des eigenen Kiezes wie ein Ausflugsziel. Besonders exotisch ist es, sogar die Randbereiche zu besuchen. Die Frage ist, was man da sucht. Das wüssten wohl auch die besungenen Protagonisten nicht so genau, und die Unterstellung, dass es ihnen dort nicht gefallen wird, ist alles andere als abwegig. Die Frage die sich stellt ist, welche Klientel eigentlich besungen wird? Für die klassische Touri-Dauer ist man auch ohne Randbezirke mehr als ausgelastet. Ich glaube also nicht, dass es soviele Touristen gibt, die (vermutlich) gegen den Rat des Lonely Planet die Randbezirke erforschen wollen. Ich denke das Lied wendet sich eher an Menschen mit mittellanger Aufenthaltsdauer, die auch mal etwas mehr sehen wollen. In dem Punkt muss ich der Autorin allerdings widersprechen. Es scheint mir durchaus ratsam mal nicht so naheliegende Gegenden zu besuchen. Hauptsache die Erwartungshaltung ist nicht komplett falsch. Immerhin zeigt es dann auch den Menschen, die nur ein paar Wochen/Monate in Berlin verweilen, dass die Stadt nicht nur aus Hipster- und Touribespaßung besteht.
Ich komme etwas vom Thema ab, pardon, aber deutlich sinniger wäre das Lied, wenn man die Flucht nicht als Ausflüge, sondern als Wegziehen verstehen könnte. Dieser ganze Gentrifizierungskack greift ja um sich, und da ist Stadtflucht ein nachvollziehbarer Schritt. Wenn es mal schön war, will man eben nicht wahrhaben, dass sich das innerstädtische Berlin ständig im Wandel befindet. Und wer sich dann von Touristen, Neuankömmlingen und Spekulanten überrannt fühlt muss sich wohl ein ruhigeres Fleckchen suchen. Was dabei vergessen wird - Außenbezirke haben oft das Lebensgefühl von Kleinstädten. Man ist zwar in der Nähe von Berlin, aber es ist schon als Anreise zu begreifen. Zu einigen wird es gut passen. Sie brauchen ab Mitte 30 den ganzen Rummel nicht mehr und sehnen sich wohl mehr oder minder eingeständig nach einer kleinbürgerlicheren Welt. Andere werden ihr Berlin sicher schnell vermissen.
Ich finde es weder schlimm noch überraschend, dass die Stadt sich ständig verändert. Gerade das macht das Leben in Berlin für mich persönlich interessant - es ist aber glaube ich eine Frage der persönlichen Rastlosigkeit. Sonst müsste man ständig von einer Stadt in die nächste ziehen. Hier bekommt man viele unterschiedliche und immer andere Urbanisierungsformen auf einmal. Ich denke es ist sich nicht jeder Hergezogene bewusst, dass man zum Zeitpunkt der Ansiedelung nur eine Momentaufnahme sieht, die schnell verschwunden sein kann. Hellersdorf und Mahrzahn sind allerdings auch keine Lösung, dann kann man auch gleich nach Magdeburg ziehen.
Um nochmal auf das Werk zu kommen - am Ende des Liedes werden höchst unterschiedliche Stadtteile aufgezählt. Friedrichshain zählt noch eindeutig zu hip - wenn auch mit deutlich mehr Originalbewohnern als die anderen hippen Stadtteile. Außerdem leidet der Stadtteil, oder erfreut sich - je nach Sichtweise, an Reizüberflutung. Genau das aber scheint der markante Unterschied zu z.B. Marzahn zu sein. Dort kommt man dazu, sich viel mehr mit sich selbst zu beschäftigen. Der Hipster-Öko-Rummel ist ja im Grunde nur eine Art Fremdidentifikation, die vorgaukelt, sich selbst zu verwirklichen. So gesehen ist im Vergleich Berlin in den Randbezirken tatsächlich ein Lonely Planet - so wie auch viele viele andere Gegenden in Deutschland sehr lonely sein können. Wer aus solchen Orten stammt, sollte sich diesen Schritt zurück zumindest gut überlegen. Oft herrscht in der Vergangenheitsbetrachtung eine bedenkliche Verklärung vor.
Eigentlich geht es ja auch garnicht gegen irgendwelche Stadtteile - zum Glück fühlen sich Menschen in den unterschiedlichsten Gegenden wohl. Viel mehr möchte diese kleine B-Seite wohl einfach vor dem Berlin-Klischee warnen. Klingt sehr altersweise, aber Judith Holofernes wohnt mittlerweile 15 Jahre am Stück in Berlin, und hat wohl schon jede Menge Menschen kommen und gehen sehen.
Auf der Single befindet sich übrigens auch noch eine Unplugged-Version, die ich noch schöner finde. Allein schon wegen der Hommage an den Rocksteady-Klassiker 'Rudi, a message to you'.
Über Ostkreuz raus und ins Grüne wollt ihr fahren
Seit zwei Stunden im Café und dann doch kein besserer Plan
Das dicke Buch und ich wir beide haben versucht es zu erklären
warum bleibt ihr nicht am Südstern und jagt Berliner Bären
Lonely Planet, lonely Planet
Oh, this is lonely planet Germany
Lonely Planet, lonely Planet
Only partially the hippest place to be
Bleib doch hier, Sahid
So ein Tag vergeht im Flug
Reste - là chez nous Henri
Kreuzberg ist doch grün genug
Und das Grün da draußen ist nicht mehr so grün
wie es mal war
Da sind alle Blätter braun das ganze Jahr
Lonely Planet, lonely Planet
Oh, this is lonely planet Germany
Lonely Planet, lonely Planet
Only partially the hippest place to be
You should stay, Lehsedi
Ich weiß, du bist Optimist
Bleib doch hier bei uns, Xiao Mei
Und wenn du hier die Hellste bist
Warum willst du uns nicht glauben, was im Reiseführer steht
Berlin ist immer noch ein einsamer Planet
Berlin liebt dich - Aber Lichtenberg ist Lichtenberg
Berlin liebt dich - Aber Köpenick ist Köpenick
Berlin liebt dich - Aber in Marzahn, Ach in Marzahn
Berlin liebt dich - Aber Hellersdorf ist Hellersdorf
Berlin liebt dich - Aber Pankow ist doch Pankow ist doch
Berlin liebt dich - Aber Wedding aber Wedding aber
Berlin liebt dich - Aber Friedrichshain ist Friedrichshain
Berlin liebt dich - Aber das hier ist ein anderes Berlin,
hier will keiner mit dir um die Häuser ziehen
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