Samstag, 9. März 2013
Album für Album: The Kinks - Schoolboys in Disgrace (1975)
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.
Auch wenn man sich von Alben mit thematischen Schwerpunkten nie so ganz verabschiedet, so wurde dies doch das letzte klassische Konzeptalbum der Kinks. Das ist es wiederum aber auch nicht – vielmehr haben wir es mit einer Art Hybrid aus theatralischem Konzeptalbum und Rockalbum zu tun. Nach Soap Opera ist es ein musikalischer Bruch, wieder hin zu deutlich mehr verzerrten Gitarren und schnellen Riffs. Weil es beide Welten so wunderbar verbindet und so großartig komponiert wurde, liegt es außerdem ziemlich weit vorne unter meinen Lieblings-Kinks-Alben. Selbst die Idee das Thema 'Schulzeit' zu bearbeiten passt dazu – ist das doch ein recht dankbares, klar abgestecktes Thema und nicht so wie z.B. bei den Preservation-Werken, bei denen es schwer fällt dem Konzept zu folgen. Allerdings bemühte man sich um den inhaltlichen Anschluss an jene Werke, indem man die Figur des Mr. Flash aus Preservation Act I & II hier als Akteur weiterführt. Er blickt zurück auf seine Schulzeit. Dankenswerterweise wird der gesamte Ablauf der Lieder als Story in wenigen Sätzen auf der Plattenhülle erklärt:
Once upon a time there was a naughty little schoolboy. He and his gang were always playing tricks on the teachers and bullying other children in the school. One day he got himself into very serious trouble with a naughty schoolgirl and he was sent to the Headmaster who decided to disgrace the naughty boy and his gang in front of the whole school.After this punishment the boy turned into a hard and bitter character. Perhaps it was not the punishment that changed him but the fact that he realised people in authority would always be there to kick him down and the Establishment would always put him in his place. He knew that he could not change the past but he vowed that in the future he would always get what he wanted. The naughty little boy grew up... into Mr Flash. - vom Back Cover
So, damit wäre bereits geklärt was von Anfang bis Ende inhaltlich passiert. Das ist aber garnicht so sehr wichtig wie bei den vorangegangenen Alben, denn viele der Lieder von Schoolboys in Disgrace können auch sehr gut für sich stehen, ohne Kontext.
Das Album wird eröffnet durch das verklärende 'Schooldays' – Mr. Flash wünscht sich in die Schulzeit zurück, trotz der jugendlichen Dramen. Danach wird es schon zum ersten Mal so richtig hitverdächtig. 'Jack the Idiot Dunce', ein äußerst beschwingtes, fröhliches Lied über Mobbing. Es hat eine etwas seltsame inhaltliche Wendung, aber die macht es umso interessanter. Die Kinks in Bestform, ich liebe das Lied. Es folgt ein siebenmütiges Pamphlet für Bildung. 'Education' braucht soviel Zeit, weil es sich, beginnend mit den Höhlenmenschen erst durch die gesamte Menschheitsgeschichte hangelt und die Wichtigkeit von Bildung veranschaulicht, um dann Weise darauf hinzuweisen, dass man zwar alles mögliche lernen kann, aber dadurch auch nicht viel mehr über das Mysterium des Lebens weiß - „No you can't tell me why I am“. Man glaubt während der sieben Minuten diverse Lieder gehört zu haben, tatsächlich aber ist dies ein beeindruckendes Zeugnis einer großen Kompositionsgabe. Anschließend wird diese Methode in 'The first time we fall in love' auf die Spitze getrieben. Balladesker Anfang, hereinbrechende Gitarren und eine spannende Mischung aus Ray Davies' 'normaler' Stimme und Kopfstimme, inkl. jede Menge Background-Lala und hinreißender Klavierbegleitung. Man merkt, dieses Lied ist ebenfalls sehr weit oben bei meinen Favoriten.
Seite A ist am Ende und wir drehen die Platte um - und jetzt geht’s unweigerlich bergab mit dem schönen Schülerleben. Nach der großen Liebe kommt, wie könnte es anders sein, die große Enttäuschung. Hach. 'I'm in Disgrace' ist ganz ähnlich gestrickt wie das Lied davor, und mindestens genauso gut. Nein, 'gut' trifft es nicht. Es ist wundervoll und geht mir wie einige andere Lieder dieser Platte nicht aus dem Kopf. An dieser Stelle erreicht meine Begeisterung ihren Höhepunkt, was nicht heißt dass ab hier das Album schlecht ist, denn auch das folgende 'Headmaster' macht Spaß. Es ist schon wieder so ähnlich aufgebaut – langsamer Anfang mit plötzlicher Steigerung durch scharf einsetzende Akkorde auf verzerrter E-Gitarre. Ich mag ja Gitarrengefrickel nicht – Fans davon kommen sicherlich auf ihre Kosten, aber für mich bekommt das Lied dadurch unnötige Längen. Trotzdem, großartig.
Nach der Verteidigung vor dem Direktor antwortet selbiger nun in 'The Hard Way' mit Unverständnis und macht ihn vor versammelter Schülermeute zur Sau. Er muss gehen. 'The last Assembly' sticht musikalisch etwas heraus, weil es eher wie ein Werk von Robert Burns klingt. Fürs Album sehr gut mal wieder Abwechslung zu haben, aber für sich betrachtet eher das schwächste Lied, auch wenn das bei dem hohen Niveau natürlich relativ ist. Das letzte Lied ist nochmal besonders interessant – 'No more looking back' ist nicht nur das 'poppigste' Stück auf dem Album; in seiner allgemein gehaltenen Botschaft nach Vorne zu schauen und nicht immer an Verflossene aus der Vergangenheit zu denken kommt es auch universeller als der Rest daher und bildet damit einen gelungenen Abschluss mit wertvoller Aussage. Irgendwie lässt sich jene Botschaft auch sehr gut auf das Kinks-Gesamtwerk beziehen – endet damit doch die fast 10jährige Phase von Konzeptalben. Es wird etwas ganz anderes folgen.
Viele mögen Schoolboys in Disgrace nicht sonderlich, aber für mich ist es, unterm Strich, fast mein Lieblingsalbum dieser seinerzeit umtriebigen Band aus dem umfangreichen Schaffen der 70er Jahre. Es vereint viele Qualitäten, und hat, so im Nachgang betrachtet, fast keine Schwächen. Und ich kann es mir immer und immer wieder anhören. "Because I fell for your pretty face, I'm in disgrace..."
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