Dienstag, 26. März 2013
Album für Album: The Kinks - Sleepwalker (1977)
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.
Unzählige Konzeptalben waren genug, es musste mal wieder was anderes her. Gemeinhin wird die Phase, die Sleepwalker einläutet als 'Stadionrock' bezeichnet. Das mag für die Konzerte ganz sicher stimmen, aber die Alben für sich betrachtet haben zumindest zum größeren Teil diesen in meinen Augen abwertenden Begriff nicht verdient (Low Budget von 1979 kommt aus dieser Perspektive betrachtet nicht sonderlich gut weg, wobei man selbst dem Album mit gutem Willen was abgewinnen kann). Der Begriff ist wohl auch mehr der Veränderung geschuldet – keine riesige Band mehr mit Bläsern und Backgroundchor, keine besonders komplizierten Kompositionen, und auch tendenziell eher einfacher gestrickte Texte.
Die Stücke auf Sleepwalker bieten durchaus gute Abwechslung. Die Band hat bis zu den Aufnahmen so dermaßen viel experimentiert in ihrer Karriere – das hört man, selbst wenn die Lieder eher einfach sein sollen. Das Titelstück 'Sleepwalker' versucht etwas gruselig rüberzukommen, scheitert dabei aber an seiner musikalischen Umsetzung. Zu Konzeptalbenzeiten wäre diese sicherlich viel passender gewesen. Apropos Konzeptalbum - das ist es zwar nicht, aber die alten Zeiten schimmern durch, da sich Motive in mehreren Liedern wiederholen. Neben 'Sleepwalker' beschäftigt sich auch 'Full Moon' mit der gruseligen, schlaflosen Nacht. Und apropos schlaflose Nacht – 'Sleepless night' heißt ein (von Dave Davies gesungenes) weiteres Stück, natürlich über durchwachte Nächte, allerdings mehr aus Gründen des Spannertums und der Eifersucht auf den neuen Typ der Nachbarin. Die beiden feiern jede Nacht exzessive Parties mit lauter Rockmusik.
Der Rock'n'Roll ist außerdem Thema in 'Juke Box Music' – mit erstaunlichen Einsichten auf einem Rockalbum:
It's all because of that musicThat we're slowly driftin' apart.But it's only there to dance to,So you shouldn't take it to heart.
Music, only juke box music.Only music, only juke box music.
Rockmusik ist also nur da um dazu zu tanzen, aber sie sollte nicht emotional berühren. Irgendwas muss sie davon abgehalten haben das als letztes Lied auf dem Album zu haben, denn an diese Stelle würde es wunderbar passen. Andererseits, da es am Anfang der zweiten Seite kommt hat man noch ein halbes Album lang Zeit über die Botschaft nachzudenken. Entweder es setzte nach 15 Jahren Rockmusik Fatalismus ein oder sie haben sich eine leichte Provokation gegönnt. Oder Verbitterung, weil die unbetanzbaren Konzeptalben so unerfolgreich waren.
Das Eröffnungslied des Albums, 'Life on the road', lässt sich von einem Lied über Vagabunden-Dasein leicht auf die das ewige Touren als Band übertragen:
Sometimes I hate the road,But it's the only life I know.But I'm livin' the life that I chose,So I'll live out my life on the road.
Es bietet einen gewissen inhaltlichen Zusammenhang zu 'Juke Box Music', sozusagen. 'Mr. Big Man' klingt eher wie ein Überbleibsel aus Preservation-Material. Das durchgekaute Damals-Heute-Thema wird hier noch einmal aufgegriffen, nur mit fetteren Gitarren als 1968.
'Brother' und 'Stormy Sky' sind beide textlich ziemlich cheesy und aus der lyrischen Perspektive betrachtet wirklich keine Sternstunde von Ray Davies, allerdings muss man den Liedern zugute halten dass sie eigentlich ganz nett anzuhören sind, wenn man beim Text nicht genauer hinhört. Grade 'Stormy Sky' mag ich ganz gerne.
Mit dem Thema 'Gründe für Selbstmord' geht das Album zuende - 'Life goes on'. Etwas schwarzer Humor zum Abschluss schadet nicht, dachte man sich wohl. Finde ich auch, zudem enthält das Lied mitunter die besten Textzeilen des Albums:
My bank went broke and my well ran dry.It was almost enough to contemplate suicide.I turned on the gas, but I soon realizedI hadn't settled my bill so they cut off my supply.No matter how I try, it seems I'm too young to die.Life goes on and on and on.
Das Original-Album enthielt diese neun Lieder, aber auf der späteren CD-Version finden sich immerhin vier Zugaben, allesamt Studioaufnahmen aus den Sessions zum Album. Es lohnt sich darauf einzugehen, denn sie können qualitativ mit dem Albummaterial durchaus mithalten. 'Artifical Light' ist eine Ode an Selbiges. Sowas in der Art gabs z.B. schon zwei Jahre zuvor auf Soap Opera mit 'Underneath the Neon Sign'. 'Prince of the Punks', ebenfalls spätere B-Seite, macht sich über Punk-Poser lustig. Laut Text können die Punks ja nur nicht richtige Musik machen und auch sonst nichts, und da kommt es solchen Menschen ganz recht einfach nur durch etwas Provokation zu Ruhm zu kommen. Zweifelsohne eine interessante Perspektive auf die zu Zeiten der Aufnahme (Juli 1976) eigentlich noch recht frische Bewegung. Die Momentaufnahme mag nicht ganz falsch sein, aber es kommt mir so vor als schimmere Neid auf eine neue Jugendkultur durch. Man selbst ist ja jetzt das Establishment und nicht mehr die coole junge Rockband. Naja, alles Spekulation.
Zwei zu der Zeit unveröffentlichte Stücke gibt es auch noch dazu. Zum einen 'The Poseur', ebenfalls ein Ablästerlied, diesmal über Aufreißertypen. Zum anderen enthält die erweitere Fassung vom Album noch zwei Mixe von 'On the Outside', eine Version von 1977 und eine von 1994, wobei die letztere deutlich besser klingt. Das Lied ist nichts besonderes, fügt sich aber gut in das restliche Material. Das ganze Album ist nichts besonderes, aber durchaus gut anhörbar. Mit dem neuen musikalischen Weg ist es kurioserweise viel mehr ein Experimentierwerk als die letzten Konzeptalben davor. Es ist kein großer Wurf, aber immerhin haben die Kinks einen neuen Stil gefunden und werden sich auf dem folgenden Album verbessern.
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Kommentare zum Post
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Zu Prince of the punks: damit soll Ray Tom Robinson gemeint haben, ausgereichnet einen der besseren musikalischen Köpfe der Punkbewegung, die zumindest frische Energie in die Rockmusik gepumpt haben. Gottseidank haben sich die beiden wieder versöhnt - sieh Album "See my friends".
AntwortenLöschenDanke für die Hintergrundinfo. Mich lässt das Gefühl nicht los dass Neid die Triebfeder dieses Liedes war.
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