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Montag, 1. April 2013

Album für Album: The Kinks - Misfits (1978)

1 Kommentar :
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.


Nach Sleepwalker der zweite Versuch wieder mehr eine Rock- als eine Revueband zu sein. Nachdem der erste Versuch qualitativ doch recht durchwachsen geraten ist, scheint man auf Misfits einige Unzulänglichkeiten des Vorgängers erkannt zu haben. Der Hang zum Vergleich mit dem Vorgänger liegt u.a. an erkennbarer Themengleichheit. Es beginnt direkt mit 'Misfits', dem Eröffnungsstück des Albums. Es ist die Entsprechung zu 'Life on the road', dem Eröffnungsstück von Sleepwalker. Dieses Mal ist allerdings nicht der Ich-Erzähler der Vagabund, der sein Dasein ganz positiv sieht, sondern er ist der Ratgeber, der dem Außenseiter und Rumtreiber ans Herz legt doch in die Gesellschaft zurück zu kehren, da alle irgendwie Außenseiter sind und er doch ganz gut reinpassen würde. Übrigens, als Konzept zum Album passt das Wort 'Außenseiter' sehr gut, allerdings taucht das Thema nur immer mal wieder auf, sodass Misfits eher nicht als Konzeptalbum im engeren Sinne zu verstehen ist.

Ein anderes deutliches Beispiel der Themennähe zu Sleepwalker ist 'A Rock'N'Roll Fantasy' – dieses Stück ist fast haargenau inhaltlich dasselbe Lied wie 'Juke Box Music', nur dass ein selbstreflexives Element über die eigene Existenz als Rockband einfließt. Hier wird nicht wie bei 'Juke Box Music' bösartig über das eigene Schaffen geredet, sondern der positive Aspekt der Heilsversprechen von Realitätsflucht wird hervorgehoben:
There's a guy in my block, he lives for rock
He plays records day and night
And when he feels down he puts some rock 'n' roll on
And it makes him feel alright
And when he feels the world is closing in
He turns his stereo way up high

He just spends his life living in a rock 'n' roll fantasy
Ray Davies wird vier Monate nach dem Tod von Elvis sehr direkt was das eigene Streben angeht:
You say we've got nothing left to prove
The King is dead, rock is done
You might be through but I've just begun
I don't know, I feel free and I won't let go
Das klang nur ein Jahr zuvor weitaus pessimistischer. Die Sache mit dem Phantasie-Ausleben wird noch eingehender betrachtet, und zwar in 'Out of the wardrobe'. Das Lied klingt inhaltlich erst wie eine Version von 'Lola', in welcher der Charakter von Lola Tiefe bekommt. Eigentlich geht es aber garnicht um eine Lola, sondern nur um die Freude an der neuen Freiheit nach der sexuellen Revolution:
You see, he's not a faggot as you might suppose
He just feels restricted in conventional clothes
'Cos when he puts on that dress he feels like a princess
Dick, der Protagonist, ist nämlich verheiratet mit Betty Lou, und Betty Lou arrangiert sich mit der Situation und fängt an Hosen zu tragen und Pfeife zu rauchen, und ist mit sich und allen anderen im Reinen. Klingt ein bisschen sehr konstruiert, aber trotzdem ist bemerkenswert mit welcher Selbstverständlichkeit hier 1977 die sozialen Geschlechterrollen dekonstruiert werden. Das bereitet heute noch vielen Mitteleuropäern große Schwierigkeiten, aber Ray Davies war an dieser Stelle mental schon weiter. Während die Plakativität hier durchaus von Vorteil ist, wird sie ihm in den 'politischen' Liedern zum Verhängnis. Die Kinks haben schon oft über Politik gesungen, aber bisher recht geschickt verpackt ('Dead End Street' und unzählige andere Beispiele) oder außerhalb der normalen Popsongstruktur (wie z.B. auf Preservation Act II). Hier hat man sich auf gewöhnliche Rocksongs beschränkt, was auch die Texte stark einschränkt. Das kann manchmal funktionieren, aber an dieser Stelle sind die gutgemeinten Anliegen Ray Davies etwas missglückt (später hat er gezeigt dass es doch geht, allein durch das grandiose 'Young Conservatives' auf State of Confusion fünf Jahre später). Ein Beispiel ist das ein wenig seltsam anmutende 'Black Messiah' (welches nicht einmal ein Rocksong ist, sondern eher schön eingängig entspannt reggaemäßig mit Bläsern daherkommt). Aussage: Hautfarbe scheißegal, und redet nicht nur über Gleichberechtigung, sondern lebt sie. Er zieht sich allerdings genau an diesem Hautfarbending hoch, ebenso wie an wirklich einfältigen Vorstellungen: Trotz der angeblichen Toleranz könnten sich Weiße keinen Schwarzen Gott vorstellen, während sein Nachbar, ein selbsternannter Prophet, behauptet der schwarze Messias würde kommen. Leute, die sich einen Gott in Form eines alten Mannes mit Rauschebart vorstellen haben eh ein ernsthaftes Problem, und erst recht wohl die hoffentlich nicht allzu vielen, die den Schwarzen Messias (Oh wait, Barack?) erwarten. Da hat er Recht, das Denken funktioniert bei solchen Menschen trotz anders lautender Bekundungen in Hautfarbenschemata. Es ist schon sehr richtig sich über solche Leute aufzuregen, keine Frage. Aber wenn wir schon dabei sind kann man sich auch noch über tausende andere spinnerte Vorstellungen lustig machen. Deplatziert wirkt sein Einwand, das er ja nicht nur redet, sondern auch in einer Gegend wohne wo außer ihm nur Schwarze wohnen und er deshalb auf die Mütze bekam, von den Schwarzen. Genau an der Stelle tappt er in die Verallgemeinerungsfalle, das ist wirklich schade. Man kann sich sehr gut über religiöse Fanatiker jedweder Richtung lustig machen, aber dann muss man auch aufpassen sich nicht selbst durch vereinfachte Aussagen so angreifbar zu positionieren. (Eine viel bessere Umsetzung der Grundidee lieferten z.B. The Specials mit 'Racist Friend', das nur mal am Rande.)

Ebenfalls höchst politisch, und noch fragwürdiger geht es in 'Live Life' zu. Die Militanten aus allen Richtungen hauen sich die Köpfe ein, Politiker sind doof, Intellektuelle folgen nur dem Trend, Wochenendrevoluzzer hängen überkommenen Ideen an, Faschisten verprügeln Schwarze – in so einer Welt sei man sich selbst der Nächste und solle sein Leben leben ohne zu versuchen für andere Menschen und Ideen mitzuleben. Auch hier ist die Intention durchaus eine gute – wer meint anderen seine Meinung aufdrücken zu müssen ist ein Idiot. Ja, da hat man direkt viele widerliche Menschen aus allen möglichen Richtungen vorm geistigen Auge, nur, der Text empfiehlt sich einfach aus allem rauszuhalten. Das kann ich als politisch aktiver Mensch natürlich nicht gut finden. Das hieße nicht gegen Nazis auf die Straße zu gehen und die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Umgebungen nicht kritisch zu hinterfragen, schließlich interessiert ja nur das eigene Wohlergehen. Ich weiß nicht genau ob er es wirklich so meinte, aber der Text ist so zu verstehen. Man merkt die Schwäche solcher Werke, welche ganz direkt politisch sein wollen mit klaren Aussagen. Ein Rocksong kann so etwas schwer bieten, denn wie wir alle wissen ist die Welt kompliziert und einfache Lösungen gibt es nie, auch wenn man die am einfachsten fordern kann. Musikalisch sind wir hier übrigens durchaus beim Stadionrock, das passt gut zur Plattheit der Botschaft.

Erfreulicherweise bietet das Album auch ganz andere Facetten. Zum Beispiel das tolle Lied 'Hay Fever', welches tatsächlich nur davon handelt wie blöd es ist Heuschnupfen zu haben. Grade dieser unprätentiöse Text, zusammen mit der eingängigen Melodie und den musikalischen Verweisen auf den frühen Rock'N'Roll machen viel Spaß. In eine ähnliche Kerbe schlägt 'Permanent Waves' – sowohl musikalisch als auch inhaltlich. Es ist allerdings nicht nur ein Lied über Dauerwellen, sondern macht sich in bester Davies'scher Lyrik lustig über Kosmetik als Problemlösung für ernsthafte mentale Erkrankungen. Im bunten Strauss der Themen findet sich noch 'In a foreign Land', ein ebenfalls überaus gelungenes Werk über Flucht vor Steuern und Gläubigern, und eskapistischen Heilsversprechungen. Ray Davies ist sicherlich begnadet darin aus fremden Perspektiven die wundervollsten Lieder zu schreiben, aber auf diesem Album ist wohl recht viel autobiografischen Einfluss zu vermuten.
Als vorletztes Lied wird mit 'Trust your heart' etwas zu der Zeit äußerst seltenes geboten - ein Lied aus der Feder von Dave Davies. Das gab es davor zuletzt 1972 auf einem regulären Album (und danach erst wieder 1984). Es ist ziemlich sentimental und kitschig geraten, aber da diese Eigenschaften sonst eher nicht auf Misfits zutreffen mag das Lied im Sinne der Abwechslung ganz passend sein.

Zum Ausklang erwartet uns 'Get up'. Wenn schon soviel politisches Anliegen auf einem Kinks-Album untergebracht wird, darf am Ende eine tolle Botschaft nicht fehlen. Diese hat allerdings etwas ziemlich Schizophrenes, denn in 'Live Life', also drei Lieder zuvor, sollte man sich noch auf sich selbst besinnen und nicht für irgendeine große Idee kämpfen. In 'Get up' werden die von den ganzen Kämpfern für große Ideen verwirrten Menschen aufgerufen sich eben dieses nicht gefallen zu lassen und aktiv zu werden.
Good's gone bad, right is wrong, don't know which side I'm on lately

Get up from the down you're in
Come out of your homes and let's see your faces
Get up out of your easy chairs, get up and show 'em that you're there
Get up it's your one salvation
Wise up to the situation

Somebody gotta get up and shout
Somebody gotta give us some clout
You're the ones to make it all work out
It all depends on you

Get up off your arses men
Don't let 'em think you're getting lazy
Get up out of your easy chairs
We gotta lot to do out there, well ain't we
Get up, Get up, Get up
Was er in seiner eigenen Verwirrung bezüglich links, rechts, oben und unten nicht weiß ist, wie dieser Aufstand genau aussehen soll. Das ist noch viel unkonkreter als z.B. die Occupy-Bewegung. Dort gibt es wenigstens ein klar abgestecktes Feindbild, aber hier bleibt alles im diffusen Nebel der Möglichkeiten.

Das Album ist durchaus gut und hat viele schöne Ideen, aber der einfach gestrickte politische Rocksong ist eine hohe Kunst, die vielleicht niemand wirklich gut beherrscht. Insbesondere wenn man als Musiker selbst schwer verwirrt ob der Eindrücke ist, sollte man vielleicht warten bis wieder etwas mehr Klarheit vorherrscht oder lieber seine eigene Verwirrung thematisieren, aber mit Belehrungen gehen Menschen sehr schnell auf den Keks. Auf dem Album belehrt der Herr Davies die Zuhörer etwas zu oft. Es sei ihm nach solanger Zeit aber verziehen.

1 Kommentar :

  1. Kleine Anektote am Rande: der Herr Zeltinger hat Permanent Waves praktisch 1:1 kopiert - siehe "Dauerwellen" von "De Plaat - Live (1979)". Wir sollten es ihm aber verzeihen - is ne witzige Punkrocknummer draus gworden.

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