Montag, 13. Mai 2013
Album für Album: The Kinks - Give The People What They Want (1981)
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.
Die Kinks hatten viele verschiedene Phasen mit untschiedlichsten Besetzungen und Ausdrucksformen. Für mich ist dieses Album der Beginn einer sehr hörenswerten, aber leider weitgehend vergessenen Schaffensphase Anfang der 80er, die außer Give The People What They Want auch die folgenden Alben State Of Confusion und Word Of Mouth einschließt. Die Zeit des steilen Aufstiegs von MTV, wo die Kinks, obwohl schon damals alles andere als frisch, mit sehenswerten Musikvideos durchaus stattfanden.
Man bleibt zwar beim Rock, doch Musik und Texte werden wieder deutlich cleverer. Ray Davies findet sein Talent für biestige, intelligente Texte wieder. Auch der Titel des Albums ist schon eine klitzekleine Provokation (auf der Rückseite findet er seine Fortsetzung in „We hope everybody gets what they deserve“).
Wir werden mit 'Around the dial' begrüßt, einem famosen Stück, welches eine Art Kreuzung aus Ramones und Rocky Horror Picture Show ist. Inhaltlich beschäftigt es sich mit der etwas voyeuristischen, aber jeden von uns von Zeit zu Zeit bewegenden Frage nach den Grenzen des öffentlichen Wissens über in der Öffentlichkeit stehende Personen. Manchmal wird plötzliches Verschwinden nicht erklärt und der Fan bleibt ratlos zurück (ja, natürlich Manic Street Preachers, oder sowas wie damals der Bassist von Weezer...), oder eben diverse Krankheiten bleiben im Dunkeln. Ray Davies schreibt gerne und ausführlich aus der Starperspektive, aber hier ausnahmsweise mal als Fan. Auch wenn das Album kein spezifisches Thema im engeren Sinne hat, so zieht sich doch 'Voyeurismus' in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als roter Faden durch das Werk. So auch im fatalistischen Titelstück 'Give the People what they want'. Es habe sich also seit den alten Römern, die zur Bespaßung der Bevölkerung Christen den Löwen zum Fraße vorgeworfen haben, im Wesentlichen nichts verändert. Der Text ist recht anschaulich:
Give 'em lots of sex, perversion and rapeGive 'em lots of violence, and plenty to hateGive the people what they wantGive the people what they want
When Oswald shot Kennedy, he was insaneBut still we watch the re-runs again and againWe all sit glued while the killer takes aim"Hey Mom, there goes a piece of the president's brain!"
'Killer's Eyes' ist ebenfalls voyeuristisch. In einem (für einen Popsong) erstaunlichen Detailreichtum wird ein Massenmörder beschrieben – seine Kindheit, die Perspektive der Verwandten, die Perspektive des Killers. Das alles wirkt so als reime sich der Ich-Erzähler sein Bild von diesem Menschen allein aus Informationen aus den Medien zusammen, die er offensichtlich sehr aufmerksam verfolgt und dabei wohl außer Acht lässt, dass sich nur spektakuläre Aussagen verkaufen lassen.
Eines der schönsten Lieder des Albums ist auch gleichzeitig ein Griff in die thematische Mottenkiste – wie in 'Predictable' haben die Kinks schon etliche Lieder über den Alltag im Allgemeinen gehabt, aber selten so bissig und wunderbar vertont. Diese ständige Wiederholung des Titels im Lied ist selbst so vorhersagbar, allein diese Verbindung ist eine sehr gute Idee. Das großartige Musikvideo zum Lied tut sein Übriges.
Once we (once we) had so many optionsOnce we (once we) had dignity and graceNow we (now we) have got nothing but our own time to waste.
'Add it up' punktet mit der nicht sehr einfallsreichen, aber richtigen Aussage 'Geld macht letztendlich nicht glücklich'. Die Umsetzung gefällt mir außerordentlich – allein dieses 'Gucci, Gucci, Gucci...', herrlich.
Die zweite Seite der Platte beginnt mit einem Lied namens 'Destroyer'. Man könnte auch Mash-up dazu sagen, und zwar aus einem gedachten ursprünglichen Destroyer-Lied und 'All day and all of the night'. Der Witz muss natürlich auch textlich fortgesetzt werden, indem der Protagonist eine gewisse 'Lola' abschleppt. Eigentlich ist es aber ein Lied über die zerstörerische Kraft von Paranoia. Vielleicht eine Folge von zuviel Voyeurismus? Wenn man soviel über andere weiß, was wissen die anderen erst über mich?
'Yo-Yo' verstehe ich als Pamphlet gegen allzu statische Beziehungen. Das mag eine persönliche Perspektive sein, aber man kann es ohne Mühe im Text sehen (wollen). Dass sich Menschen über die Jahre ändern ist nunmal so, da bringt die Erwartungshaltung an 'den Mann, den ich mal geheiratet habe', nichts. Das Ganze folgt dann nochmal aus einer männlichen Perspektive, aber das Unverständnis für den Partner bleibt. Wenn sich der Typ möglichst nicht mehr mit seiner Frau unterhält ist natürlich was faul – also ist es vielmehr ein Lied über zu wenig Offenheit in Beziehungen. In den Beispielen blieb auf jeden Fall etwas Fundamentales bei den Pärchen unausgesprochen. Huch, siehe da, wozu lädt der Text ein? Voyeurismus. Ob das beabsichtigt war? 'Back to front' ist ganz ähnlich, nur das sich Ich-Erzähler und seine alte Freunde nach einer Zeit der Trennung nicht mehr verstehen, was wiederum der Ich-Erzähler nicht versteht. Er bleibt im Lied ratlos zurück. Man könnte wild spekulieren was passiert sein mag, aber das Lied wird absichtlich so allgemein gehalten worden sein. Für mich ist es das schwächste Lied des Albums, gefolgt vom mit Abstand stärksten (und einem der besten Kinks-Lieder überhaupt) – 'Art Lover'. Oh mein Gott, was für ein Lied! Diese ins Ohr gehende, harmlose Melodie gemischt mit einem Text, der heutzutage nur schwer veröffentlicht werden könnte. Obwohl der Ich-Erzähler gleich am Anfang klarstellt, dass er die kleinen Mädchen im Park nicht etwas aus sexuellen Gründen beobachtet, sondern weil sie für ihn Kunstwerke sind, bleibt das ganze sehr bedrückend. Erschwerend kommt hinzu, dass er zugibt sie gerne mit nach Hause nehmen zu wollen, aber immerhin die Unmöglichkeit dessen erkennt. Ein klein bisschen Licht kommt gegen Ende in die Angelegenheit, indem er kurz den Ursprung dieses nicht öffentlichkeitstauglichen Hobbies bringt:
I'd take her home, but that could never be,She's just a substituteFor what's been taken from me.Ah, come to daddy, come on.
Es bleibt wohl für jeden Ersthörer ein beklemmender Zustand, und man versteht nicht so recht was man da gehört hat. Für mich ist das ganze Album ja wie gesagt mehr oder weniger mit dem Thema 'Voyeurismus' verbunden, und an dieser Stelle kommt ein Lied, welches nicht direkter zu jenem Thema sein könnte, nämlich aus der Sicht eines Voyeuristen. Eines Voyeuristen, der sich gerne kleine Mädchen anschaut. Dieses Lied ist so dermaßen faszinierend, sowohl in seiner Form als auch in seiner Wirkung auf den Hörer – ein Meisterstück. Die restlichen zwei Lieder danach haben es schwer, sind aber für sich betrachtet ebenfalls sehr lohnenswert. 'A little bit of abuse' geht wieder zurück in die kranke Zweierbeziehung, dieses Mal die viele Menschen bewegende Frage – warum um alles in der Welt bleiben Frauen (und manchmal auch Männer), die von ihren Partnern geschlagen werden so oft bei ihnen? Das ist eine der am schwersten zu verstehende Form von Abhängigkeit. Man mag solche Leute leichtfertig für dumm halten, aber wenn man mal in sich geht weiß man schnell dass es so einfach nicht ist. Nach 'Art Lover' mag jedwede weitere Provokation nahezu unmöglich sein, aber würde das Lied für sich stehen ist es schon ein bemerkenswertes Statement. Ich hätte es damals als Single ausgewählt, zum Einen um auf geschickte Art auf sich aufmerksam zu machen, und zum Anderem im Wissen noch mindestens einen deutlich provokanteren Text auf dem Album zu haben, der auch mit Provokationsansage kaum abgemildert werden kann.
That's quite a cut on the side of your head.Is it from his fist, or did you really fall out of bed?Oh, so uncouth,Excuse me, is this your tooth?Why do you stay, no one knows.Do you really love him, or are you too scared to go?You're always nervous and on the edge of tears.You cry alone,But you never tell us what it's like when you get back home.No one will ever knowBecause you never show.What's the use,Everyone says you've got no excuse,You keep running back just to get a little bit of abuse.
Obwohl, oder grade weil soviel fatalistische, traurige Texte auf dem Album sind, geht es mit 'Better things' überaus freundlich zuende. Kein versteckter Witz, keine um die Ecke gedachte Ironie, nur ein Lied was Jemandem alles Beste für die Zukunft wünscht. Man könnte meinen es richte sich an einen Rockmusiker (hm, wer könnte das nur sein...), aber der Bezug auf gelungene Reime und Refrains kann genauso gut im übertragenen Sinne verstanden werden.
Follow all the doubt and sadness.I know that better things are on the way.
Das Lied versöhnt mit dem restlichen Inhalt des Albums auf eine sehr seltsame Art. Da arbeitet Ray Davies ein ganzes Album lang daran den Hörer zu verstören und von einem Drama ins nächste zu führen, und dann heißt es am Ende, ach, ich weiß alles wird gut. Ich nehme die Schicksalsschläge einfach an und mache das beste daraus, und die Zukunft wird großartig – all das obwohl im Kopf noch Texte über Misshandlung, Paranoia, Nervenzusammenbrüche und Serienkiller nachhallen. Was bleibt? Auf mich macht das Album einen runden, ausgereiften Eindruck. Es bietet viele beeindruckende musikalische und textliche Momente, ein mehr oder weniger loses Konzept und am Ende doch Optimismus. Ich mag es sehr gerne, und kann nicht wirklich verstehen warum ausgerechnet mit diesem Album (und den folgenden zwei) der Stern der Kinks nach dem riesigen Erfolg von Low Budget ganz langsam wieder zu sinken begann (Ja, das folgende Album war nochmal ein kommerzieller Erfolg, aber dabei blieb es dann auch). Künstlerisch ist Give The People What They Want meiner Meinung nach um Lichtjahre besser als der kommerziell erfolgreiche Vorgänger.
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