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Sonntag, 26. Mai 2013

Album für Album: The Kinks - Word Of Mouth (1984)

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Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.


Dieses Album schließt ziemlich nahtlos an seine beiden Vorgänger an – der Inhalt ist sowohl musikalisch als auch textlich durchwachsen, aber tendenziell gelungen. Außerdem finden sich doch einige sehr schöne Momente und echte Highlights. Es trägt allerdings auch die Bürde vieler Alben, welche Mitte der 1980er entstanden – und die kann man hören. Ich rede über den typischen, für meinen Ohren grausamen Sound vieler Alben aus dieser Zeit. Drumcomputer, Midi-Experimente, schlechte Synthesizer, eben das typisch klinische dieser Zeit – das mag State of the Art gewesen sein, aber klingt wie ich finde (zumindest aus heutiger Sicht) oft furchtbar. Das gilt nicht für das gesamte Album. Es ist, wie schon geschrieben, durchwachsen, auch was diesen Punkt angeht.

Abgesehen von der Produktion mag ich das Album allerdings schon. Auch wenn kein konkretes Thema vorhanden ist, so erkennt man doch einen (wenn auch sehr weit hergeholten) roten Faden in Form von mehreren Themenpaketen, nämlich wieder einmal den bösen repititiven Alltag, zwischenmenschlicher Verlust und die soziale Kälte der Thatcher-Ära.

Mit 'Do it again' beginnt das Album ziemlich pessimistisch. Diese gelungene Hymne an die Wiederholung hat was. Vor allem in Kombination mit dem etwas seltsamen Musikvideo mag ich das Lied. Die Beobachtung dass die Menschen sich oft nur oberflächlich verändern, wenn sie versuchen sich zu verändern, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Dennoch trifft diese Beschreibung doch eher einen gewissen Schlag Menschen, der sich eben über solche Sachen wie große Autos und viel Geld definiert. Andere Menschen mögen zu tiefgreifenderen Veränderungen fähig sein und sich nicht immer im Kreis drehen.
The days go by and you wish you were a different guy,
Different friends and a new set of clothes.
You make alterations and affect a new pose,
A new house, a new car, a new job, a new nose.
But it's superficial and it's only skin deep,
Because the voices in your head keep shouting in your sleep.
Get back, get back.
Das Titelstück 'Word of mouth' ist eher eines der schwächsten Stücke des Albums. Es wird vom Ich-Erzähler die böse Wirkung der Mund-zu-Mund-Propaganda beklagt. Tja, was lernten wir spätestens im 21 Jahrhundert (aber das galt eigentlich schon immer)? Image ist alles, das sollte man bitteschön als für viele Menschen interessante Person im Würgegriff haben. Vergessen wir schnell das Lied, denn das nächste ist einer meiner absoluten Kinks-Favoriten – 'Good day'. Es sunnyafternooned so schön vor sich hin, und der Text ist eine von Ray Davies' Sternstunden. Ein Text über Verlust und Misere, über im Bett rumlungern und vor allem über den Weltuntergang.
Holes in my socks and I can't find my shoes.
It's no surprise that I'm singing the blues.
So many holes in my life still to mend,
And someone just said that the world's gonna end.

So today better be a good day.
Ja, Löcher in den Socken sind wie die Löcher im Leben. Sowas kann man wohl nur im morgendlichen Halbschlaf denken. Also, der Weltuntergang steht an, aber wie wird er aussehen?
Will it light up the sky?
Will it blot out the sun?
Well we've waited this long,
So it better be a good one.
Das führt zu einer wunderschönen Liebeserklärung, gefolgt von Letzter-Tag-wer-sind-meine-Freunde Gedanken. Hach, wie hieß sie noch...
Hey baby, if you come back home it'll be a good day today.
They could drop a small atom bomb on the city today,
But if you walk through that door honey, you know it'll be a good day.

And now survival is my only aim.
I call friends and see if any remain.
Who was that girl who used to be my flame?
I'd call her if I could remember her name.
Wie gesagt, ich liebe das Lied, auch wenn es ebenfalls an der Anfangs beschriebenen 1980er-Produktionskrankheit leidet. Mit meinem persönlichen Highlight fängt das Album aber erst an, und es lohnt sich auf jeden Fall auf den Rest des Albums einzugehen, denn es folgen noch einige gelungene Stücke. Gleich das anschließende 'Living on a thin line' von Dave Davies zählt dazu. Zuletzt hatte er 1978 ein Lied auf einem Kinks Album beigesteuert (und dazwischen zwei Soloalben aufgenommen, aber die sind nicht besonders gut geworden, finde ich). Beide von ihm zu Word of Mouth beigesteuerten Lieder sind erstaunlich politisch. 'Living on thin line' beklagt das Ende des traditionellen Vereinigten Königreichs und fragt was eigentlich den Kindern hinterlassen wird von der damaligen Generation, und ob das überhaupt wichtig ist. Der Ausblick ist eher düster, nach fünf Jahren Maggie Thatcher sehr verständlich.
Now another leader says
Break their hearts and break some heads.
Is there nothing we can say or do?
Blame the future on the past,
Always lost in blood and guts.
And when they're gone, it's me and you.
'Sold me out' ist mit sehr klaren Worten wohl an eine bestimmte Person gerichtet. Ein überaus herrlicher, wütender Text übers über den Tisch gezogen werden. Das rächt sich oft, wie im Text angedeutet. Der Über-den-Tisch-Ziehende ist außerdem mutmaßlich zurecht mit diesem Text bestraft. Da wünschte man sich das Lied glatt als Single, auch wenn es sicher nicht das beste des Albums ist. Der Effekt wäre interessant gewesen. Ich hätte aus purer Rachsucht mit Namen und Adresse nicht hinterm Berg gehalten. Oder zumindest einer 'Widmung'.
You sold me out, to get a better deal for yourself.
You sold me out, and now we want some of your precious wealth.
And sell you out, like you sold me out.
Are you in so deep, that you can't get out?

Got no dreams, got no ambition,
Can't decide, 'cause there's no decision,
Got no claim to any position,
Can't compete with the competition.
'Massive Reductions' ist noch ein Überbleibsel von 1981 und aus der Perspektive eine soeben Entlassenen Person geschrieben. Da hat man alles für die Firma getan und sich aufgeopfert, und die streicht einfach die Stelle. So kanns gehen. Am besten man lässt das mit der Aufopferung für fremde Geldverdiener lieber gleich sein. Der Verweis auf die Thatcher-Politik ist deutlich, und poltisch geht es weiter, nämlich mit dem zweiten Dave Davies Stück – 'Guilty'. Ein gelungenes Lied gegen die Schlechtigkeit der herrschenden Klasse, global gesehen. Es hat von seiner Aktualität leider nicht das geringste verloren und beim Hören dieses Abschnitts des Album meint man eher 'deutliche Worte' sei das Thema:
Guilty until you're proven innocent
I'm sorry, but you've sealed your own fate
Guilty until you're proven innocent
Guilty because you looked/turned away

Power manipulators, conspirators, dictators
Drive the people underground
But we'll rise up through the ashes,
To stand where light can find us
In every nation, every land

You buy and you sell with no thought for the future
Controlling the masses in true business like fashion
TV, the media, lies and deception blinding us
Geradezu seicht geht es mit 'Too hot' weiter. Das Lied behandelt aber nicht nur äußerst beschwingt die sommerliche Überhitzung der Großstadt, sondern beklagt auch die Leistungsgesellschafft – man kennt das, jeder macht ständig was und hat tausend Projekte und Praktika. Achja, und wenn man mal ausnahmsweise nichts zu tun hat heißt es Sport machen um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Auch hier merken wir nur am Sound dass es nicht aus dem Jahr 2013 stammt.

Die letzten drei Lieder haben 'Verlust' als verbindendes Thema, angefangen mit 'Missing Persons' als überflüssigstes Lied des Albums. Diese Ballade über jemanden, dessen Tochter verschwunden ist, ist schwer zu ertragen und mir einfach zu platt. Man muss ihm lassen, es könnte das Prequel von 'Art Lover' vom Vorgängeralbum sein, das ist aber nur eine wage Behauptung. Ähnlich sentimental, aber musikalisch wenigstens um einiges besser ist 'Summer's gone'. Diesen Kindheitserinnerungen und das Bedauern des vergehenden Sommers folgt 'Going Solo', das Bedauern des Auszugs der erwachsenen Tochter, die offensichtlich nicht genug Dankbarkeit für die elterliche Aufopferung zeigt. Naja. Das Ende des Album ist eher ziemlich schwach, was den Gesamteindruck leider etwas nach unten drückt.

Insgesamt ist es aber ein eher gutes Album mit einigen wirklich gelungenen Liedern und dem überragenden 'Good day'. Wenn man sich das letzte Drittel wegdenkt ist das Album sogar ziemlich gelungen. Die Produktion ist dem Zeitgeist geschuldet, das möchte ich hiermit großzügig verzeihen.


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