Mittwoch, 26. Juni 2013
Album für Album: The Kinks - Phobia (1993)
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.
Es ist das letzte Studioalbum und das einzige, welches die CD als hauptsächliches Tonträgermedium hat. Offensichtlich wollte man diesen Umstand ausnutzen, denn die CD ist vollgepackt mit einer Spielzeit von gut 76 Minuten, sodass das letzte auch gleichzeitig das umfangreichste Kinks-Album geworden ist. Quantität und Qualität haben miteinander aber wie immer nichts zu tun. Unter den 16 Liedern finden sich einige an guten und sogar den Hörer überraschenden Ideen, aber ich bin geneigt auch recht viel als unnötiges Füllmaterial anzusehen. Es ist nicht nur die Anzahl der Lieder, die das Album etwas unübersichtlich macht, sondern auch deren Länge. Im Durchschnitt sind die Lieder fast fünf Minuten lang, ohne dass das in den meisten Fällen begründbar wäre, z.B. durch eine aufwendige Komposition wie bei 'Shangri-La'.
Das Titelstück 'Phobia' gibt einen Schwerpunkt des Albums vor, nämlich mehr oder weniger irrationale Ängste und generell eher negative Gemütszustände. Es ist aber kein Konzeptalbum, denn es finden sich noch diverse andere Themen. 'Phobia' ist ein recht typisches Lied für das ganze Album mit seinem umfangreichen Text und den harten Gitarren. Genauer gesagt ist es immer die Abwechslung zwischen hartem Rock und sehr seichten Liedern, die das Album prägt.
Crowded rooms, too many facesSuffocation, open spacesEverybody gotta weird sensationThat they wanna keep trapped insideMaybe it's a sexual deviationHiding beneath a respectable guiseIf you are of this persuasionThere is just one explanation - phobia
Nach 'Phobia' folgt 'Only a dream', welches sehr sanft schwebt und im ersten Moment überaus freundlich klingt, aber doch das Happy End vorenthält. Was mir an den Texten außerdem auffällt, ist eine situative Beschreibung konkreter Ereignisse in vielen Liedern, deutlich stärker als bei den Kinks in der Regel üblich. Zum Beispiel in 'Don't' – das Lied beschreibt wie der Protagonist durch die große Stadt läuft und einen Selbstmörder beobachtet, der vom Hochhaus springen möchte. Da hätten wir auch wieder den negativen Gemütszustand. Es ist eines der leider zuvielen Lieder des Albums, die nicht wirklich hängen bleiben weil ihnen die Seele fehlt, um das mal etwas pathetisch auszudrücken. Das trifft auch auf 'Still searching', 'Surviving', 'Close to the wire' und 'Wall of fire' zu. Ich möchte garnicht unbedingt von 'uninspiriert' reden, aber sie haben es nicht geschafft diesen Liedern etwas zu geben, an das man sich auch nach einiger Zeit noch erinnert. 'Drift away', ein Lied über Realitätsflucht, schafft dies immerhin mit einer eingängigen Melodie und dem gelungenen Wechsel hin und her zwischen seicht und hart. Das Verzweifeln an der Realität bis zur Flucht in Tagträumereien schließt an die anderen Stücke zum gestörten Geisteszustand gut an. Ähnlich verhält es sich mit 'Over the edge'. Es geht wieder ums Durchdrehen ob der schlimmen politischen und gesellschaftlichen Zustände, musikalisch eingängig umgesetzt. Dave Davies bearbeitet die gesellschaftliche Apokalypse ebenfalls - in 'It's alright (Don't think about it)' geht es aber mehr um die spirituelle Flucht vor dem Ungemach, musikalisch im Grunde schon Metal, was bei dem Thema etwas überrascht. Auf ihre alte Tage boten die Kinks in Sachen Gitarrenarbeit erstaunlicherweise einiges, was im Gesamtwerk keine Referenzen findet.
Bei so einem umfangreichen Album ist die Was soll das?-Abteilung auch gut gefüllt. Da hätten wir z.B. 'Babies' im Angebot. Ray Davies lässt seinen Gedanken zum Thema Babies mit recht obskuren Textzeilen freien Lauf, und es wird nicht so ganz klar wo das Lied hingehen soll, weder inhaltlich noch musikalisch. Vielleicht hätte man das lieber im Giftschrank behalten sollen. 'The Informer' führt zu einer ganz anderen Was soll das?-Frage. Ich würde zu gerne seine Gedanken zu dem Lied kennen. Es geht um einen, nun ja, Spion, mit dem sich der Protagonist trifft, obwohl der Spion auf der Flucht ist. Der Text impliziert, es sei eine große Leistung dass beide sich einfach auf ein Bier treffen, emotional wie organisatorisch. Wie Ray Davies auf den Text kommt? Keine Ahnung. 1991, im Entstehungsjahr, werden sich solcherlei Geschichten (vielleicht etwas weniger dramatisch) sicherlich mal zugetragen haben, aber das sonst so präsente Autobiografische des Album wäre an der Stelle wohl zu weit hergeholt, vermute ich. Auf jeden Fall ist es eine ganz nett anzuhörende Ballade.
They say you went and moved across the borderSo it's hard to believeThat you're sitting here with me tonightI know you're on the run, you shouldn't be hereBut do you feel the fearWhen you meet an old friend and the enemy's near
'Somebody stole my car' finde ich auch etwas seltsam, genau gesagt das Gejammere über die Schlechtigkeit der Großstadt, weil das Auto samt Handy geklaut wurde und man jetzt auf den Raten sitze ohne ein Auto zu haben. Was hängen bleibt ist das Ende, wo man den Beatles Tribut zollt und sich ein passendes „Beep-beep mm beep-beep, yeah“ aus 'Drive my car' gönnt.
Das bleibt erstaunlicherweise nicht die einzige Beatles-Anleihe. Auch 'Did ya', Bonus-Lied auf den meisten Ausgaben des Albums, kann mit einer 'Penny Lane'-Anleihe aufwarten (eine Erinnerung an 'Sunny Afternoon' gibts auch zu hören). Und auch hier passt es, denn wie in 'Penny Lane' geht es um die Straßen, in denen die Davies-Brüder aufgewachsen sind, allerdings geht es um einen Rückblick auf die vergangenen Hoffnungen der 60er-Jahre. Dieser fällt denkbar pessimistisch aus - und so entlässt man einen Teil der Album-Hörer aus dem letzten Kinks-Album. Ein anderer Teil bekommt 'Scattered' als letztes Lied. Es ist wirklich schön, aber auch 'Scattered' berichtet vom Zerfall und von Verlust. Am Ende ist es eher versöhnlich als traurig, damit hat das Lied auf Phobia Seltenheitswert.
'Scattered' ist ein Highlight, aber das größte Highlight habe ich mir für den Schluss aufgehoben – 'Hatred (A Duet)'. Der Bruderhass der Gallagher-Brüder von Oasis ist nichts im Gegensatz zu dem was Ray und Dave Davies in 30 Jahren Kinks aufzubieten haben. Es ist kaum vorstellbar wie die beiden es geschafft haben drei Jahrzehnte zusammen in einer Band zu sein (auch noch als einzige Mitglieder von Anfang bis Ende). Nach all dieser Zeit veröffentlichen sie dann auf ihrem letzten Album ein Duett (!), in dem sie ihren gegenseitigen Hass aufeinander besingen. Laut Text sei der Hass auf den Bruder das einzige was sie gemeinsam haben. Das ist natürlich auch Koketterie mit dem marketingtechnisch günstigen Bruderzwist, aber eine Reunion der Kinks scheitert ja tatsächlich seit 1996 an der gegenseitigen Abneigung. Ok, eigentlich ist es ein großer Witz - im Prinzip das lustigste Lied was die Kinks jemals fabriziert haben. Oasis hätten es mal covern sollen (die haben ja sowieso im Grunde nur Kinks und Beatles plagiiert), aber mit dem Begriff Selbstironie können die Herren wahrscheinlich nichts anfangen.
[DAVE and RAY] Hate's the only thing we have in commonThere's no escape, we'll always be this waySo we might as well just learn to live together'Cos we're gonna be this way till our dying day
[DAVE] If you keep on putting me downRub my name into the groundI'll drag the dirt all over town about you
[RAY] And if you spread the filth on meI'll only have one remedyI'll spill the beans, you'll see I've got a mouth, too
[RAY] Your attitude is downright rudeYour jokes upon me, they're so crude
[DAVE] Why don't you just drop dead and don't recover?
[RAY] I'm the mirror to your mood. You hate me
[DAVE] and I hate you
[RAY] So at least we understand each other
Phobia ist kein übermäßig gutes Kinks-Album, aber es hat eigentlich alle wesentlichen Bestandteile für gute Unterhaltung – Drama, Obskuritäten und kleine Geschichten. 'Scattered' ist überdurchschnittlich gut und 'Hatred' nahezu ein Geniestreich. Hätten sie das Album kompakter gestaltet, wäre es um Längen besser. So wie es ist, ist es okay und bietet einen guten Abschluss des Kinks-Œuvre.
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Kommentare zum Post
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Hallo Christian, ein würdiger Abschluss deiner famosen Reihe. Nur eins noch: den Bruderzwist sollte man nicht überbewerten: wenn's drauf ankam, waren sie immer für einander da. Übrigens, nächstes Jahr werden die Kinks 50 und Ray 70. Da könnte noch was kommen ...
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