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Donnerstag, 20. Juni 2013

Album für Album: The Kinks - UK Jive (1989)

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Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.


Die einzige „Recherche“-Tätigkeit vor dem Verfassen einer Rezension für diese Serie ist ein Blick auf den jeweiligen Wikipedia-Artikel. Nicht nur für die Informationen die dort stehen, sondern auch für die die dort nicht stehen. Je weiter man in der Kinks-Diskographie vorblättert, desto kürzer werden die Artikel. Das zeigt das zunehmende Desinteresse an den späteren Alben. Zu UK Jive finden sich nur noch zwei knappe Aussagen:

It is a concept album about modern day society, and was one of The Kinks' most poorly received albums. - en.wikipedia.org/wiki/UK_Jive

Beide Behauptungen verwundern mich nach der intensiveren Beschäftigung mit dem Album. Klar, es kam nicht gut an und war ein Ladenhüter, aber ich kann das nicht so recht nachvollziehen. Das Album bietet einige gute Momente und ist nicht unbedingt eines der schlechteren der Kinks. Die Aussage es sei ein Konzeptalbum kann ich genauso wenig bestätigen. Thematisch wie musikalisch sind die Lieder recht breit gefächert, und natürlich könnte man das alles unter dem Thema 'Moderne Gesellschaft' zusammenfassen, aber das ginge auch bei Schätzungsweise 90% aller popmusikalischen Werke, die nicht von Liebe handeln. So gesehen hätten z.B. auch alle anderen Kinks-Alben aus den 80ern dieses Konzept. Wenn man 'Moderne Gesellschaft' als Oberbegriff bereits als Konzept ansieht, dann ist es also ein Konzeptalbum. Im Kinks'schen Sinne ist es kein Konzeptalbum.

Wie gesagt, es erwartet uns eine recht bunte Mischung. Auffällig ist die zu den Vorgängeralben deutlich bessere Produktion und die spürbare Reife der Band in der musikalischen Darbietung. Durchaus ungewöhnlich ist der Einstieg ins Album, denn 'Aggravation' ist einerseits eine veritable Mischung aus Punk und Funk, andererseits aber auch über sechs Minuten lang und fordert deshalb einiges an Aufmerksamkeit vom Zuhörer. Inhaltlich wird uns direkt der denkbar pessimistischste Text geboten (und das bei sechs Minuten äußerst ausführlich) - es gehe ja immer nur abwärts mit der Gesellschaft und außer einer gewissen Attitüde hat der Ich-Erzähler keine Lösung im Angebot.

Der große Hit des Album folgt gleich an zweiter Stelle - 'How do I get close'. Er schließt sich in der pessimistischen Haltung den Zeitgeist betreffend ans Eröffnungslied an, hat jetzt allerdings eine bestimmte Person als Adressat (wobei im Verlauf des Textes noch der Hinweis folgt, dass viele Menschen gemeint seien), die gefragt wird wie man sich denn nur nah sein soll in einer Welt, in der es lediglich ums wirtschaftliche Überleben gehe. Kommunikation sei oberflächlich und emotionslos geworden durch die ganze Leere und Einsamkeit des modernen Lebens. Vom Inhalt ausgehend könnte das Lied ganz gut in die Preservation-Ecke passen, aber die musikalische Umsetzung hat ganz klar die Handschrift der Kinks der 80er Jahre, hier im besten Sinne zu verstehen. Das Lied ist überaus eingängig und war wohl so ziemlich die beste Wahl für die zweite Single (samt obskurem Musikvideo – leider hier nur in äußerst bescheidener Bild- und Tonqualität. Ich empfehle das Lied mal in ordentlicher Qualität anzuhören).


In this world without feeling,
Where words have no meaning,
If I were lying, lying,
I'd have more chance of reaching you but I'm,
Crying, crying, but I can't get my message through,
How do I get close to you?

Get close to the sinners trying hard to repent
Get close to the homeless wasters and the innocent
Get close to the souls ignored and forgotten by the
Establishment.
People get afraid to touch in case it rubs off on them
'UK Jive' bricht mit den ersten beiden Liedern, und zwar sowohl in seiner musikalischen und textlichen Fröhlichkeit als auch damit ein eher aus der Zeit gefallenes Thema zu behandeln (zumindest offenkundig), eben jenen Tanz (Entschuldigung liebe Jive-TänzerInnen). Meine Kenntnisse über die Angesagtheit von Modetänzen im UK sind limitiert, aber ich vermute der Jive war nicht unbedingt 1989 der letzte Schrei. Der Bezug auf 'Mom' und 'Dad' deutet doch eindeutig auf Kindeheitserinnerung (soviel zum Thema 'Moderne Gesellschaft'). Die politische Note fehlt allerdings auch hier nicht:
Mum's all annoyed dad forgot the inflation
He blew all his wages by half past nine.
Vor allem an dieser Stelle wird alles wunderbar verknüpft:
Swing your partner to the left, swing he back to the right.
Don't stand in the middle and act cool all night.
Everybody act a fool, jump around, lose your mind

You gotta swing to the left, then back to the right
You gotta learn to swing both ways.
When you're jiving in the U.K. O.K. U.K.

Wie nicht anders zu erwarten bei dem Text bietet das Lied Möglichkeiten zu ausufernden Tanzeinlagen. Wenn es ein Versuch war einen Tanzhit zu landen ist das natürlich kläglich gescheitert, aber die Eingängigkeit ist mal wieder ganz beachtlich. Außerdem steht das Lied damit in einer guten Kinks-Tradition mit Liedern übers Tanzen, und außerdem in der noch besseren Kinks-Tradition von politischen Liedern. Die Kombination ist natürlich interessant in Hinblick darauf, dass das Album so heißt wie das Lied, und wir im Folgenden gedanklich den Titel mit den restlichen Titeln in Bezug setzen können. (Das macht aber bitte jede/r selbstständig, sonst artet das in eine ausgewachsene Hausarbeit aus.)

'Now and then' ist was der Titel suggeriert – ein Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ein weiteres Lied, welches gut in die Preservation-Ära passen würde, allerdings fehlt ihm der zweideutige Moment, den frühere Werke oft auszeichneten. Hier ist es so – früher war alles besser, und hoffentlich wird’s mal wieder wie früher. Klingt furchtbar, aber es die Thatcher-Ära gemeint bzw. im Vergleich dazu das UK der 60er und 70er Jahre. In dem Fall muss man ihm zweifelsohne zustimmen. Wieder wurde das Lied gefällig produziert und eckt nicht an, wie auch das folgende 'What are we doing'. Eingängigkeit scheint das Hauptaugenmerk in dieser Phase des Albums zu sein, denn mit Ausnahme des ersten Liedes zielen bis hierhin alle Lieder darauf. 'What are we doing' betrachtet den Wirtschaftswachstumsfanatismus aus der ökologischen Ecke, denn der berühmte saure Regen wird besungen. Das steht aber nicht im Mittelpunkt des Liedes. Es ist mehr so ein Wir-Außenseiter-gegen-den-Rest-der-Welt-Werk, welches relativ Allgemein gehalten ist und somit universeller funktioniert als die meisten anderen Lieder des Albums.

'Entertainment' war zu der Zeit der Albumveröffentlichung schon acht Jahre alt und stammt aus den produktiven Sessions zu Give The People What They Want. Es ist ok, aber doch sehr berechenbar. Vielleicht ist es auch nur die abgestumpfte Perspektive aus dem 21. Jahrhundert, die es berechenbar erscheinen lässt. Jedenfalls ist man doch heutzutage daran gewöhnt dass die Medien Sex und Gewalt für Auflage bzw. Quote brauchen. Sicherlich ist das eine kritische Betrachtung wert, aber wenn wir mal in uns gehen wird uns klar, dass diese Themen schon immer den besten Unterhaltungswert hatten (Brot und Spiele fürs Volk) und Menschen nunmal Voyeure sind. Das ist nicht schön, aber wenigstens müssen die Leute dann nicht selbst Amok laufen für ihre persönliche Unterhaltung.
There's been another assassination
T.V. cameras moving in.
To shoot the bloodstains on the pavement
And get them on the News at Ten.
Will he live or will he die, before we go on the air?
Yes, the networks are all there, in the name of
Entertainment.
Hier sind wir an einem sehr pessimistischen Punkt, der sogleich mit 'War is over' wieder gebrochen wird (der aufmerksame Zuhörer erkennt spätestens jetzt ein Konzept – Optimismus und Pessimismus wechseln sich regelmäßig ab). Das Lied hat die berüchtigte Zweideutigkeit, die Ray Davies-Texte so interessant macht. Was genau sagt uns dieser Text? Gut, der Krieg ist zuende, aber war es das wert? Oder feiert er die vergessenen Helden, die gegen Deutschland gekämpft haben ('Auf Wiedersehen')? Die patriotischsten Soldaten sind gestorben, aber sind das nun Helden oder Idioten? Das Lied lässt viel Spielraum, und das ist gut so. Damit passt es auch gut zwischen dem pessimistischen 'Entertainment' und dem überaus optimistischen 'Down all the days (till 1992)', dem Single-Vorboten des Albums. Dazu hat man sich also das denkbar positivste Lied ausgesucht. Aus heutiger Sicht wirkt es natürlich antiquiert mit seiner Zukunftsvision von 1992, aber das macht es auch interessant; interessant ebenfalls, weil als Aufnahmezeitraum Januar bis März 1989 angegeben ist. Der Text beruft sich also nicht etwa auf den Fall der Mauer (so klingt er nämlich), sondern offenkundig auf die europäische Annäherung der Nachkriegszeit. Er freue sich darauf wenn die alten Wunden heilen, die die Kriege gerissen haben. Dass alle Nationen eins werden bis 1992 ist zwar schon mehr als ordentlich übertrieben, aber im Grunde nimmt es die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft vorweg. Aus der britischen Ecke hört man das ja leider eher selten. (Ich hoffe ich habe keine Ironie überhört, solche optimistischen Texte sind direkt verdächtig. Dann nehme ich das Gesagte natürlich sofort zurück und finde die Kinks doof.)
I'm losing all my bitterness
It's time to find some happiness
Around the earth, the sky, the sea
Down all the days

Bon soir, my little senorita, c'est magnifique
Au revoir, my little fraulein baby, it's so tragique
Achtung parlez vous Englese, bon appetit
Jawohl, mambo Italiano, ca va, O.K. I'm on my way
Down all the days.
An der Stelle wird es wieder Zeit für Pessimismus – 'Loony Balloon'. Damit ist unser netter kleiner Heimatplanet gemeint, den wir zugrunde richten. Ich mag das Lied, es hat einerseits natürlich viel Endzeitliches, aber irgendwie auch diese beunruhigend beruhigende Art. Man kennt das, wenn der Fatalismus soweit voranschreitet, dass eigentlich auch alles egal ist und man eben nochmal Party macht solange es geht. Hiermit könnte das Album ziemlich gut enden, aber einer wurde noch vergessen: Dave Davies. Auf der Original-LP darf er noch ein Lied, auf den anderen Veröffentlichung ganze drei Lieder beisteuern. Die letzten drei Lieder sind somit spürbar aus einem anderen Guss als der Rest des Albums. Vielleicht könnte man es am besten als eine Art Bonus-EP begreifen. 'Dear Margret' ist eine erneute Abrechnung mit Good Ol' Maggie, und eine der besseren in der Popmusikwelt, die sich ja mit dem Thema durchaus reichhaltig beschäftigt hat. 'Bright Lights' bleibt im Ohr hängen, allerdings weiß ich ehrlich gesagt ohne Recherche nicht wer die besungene Dame sein soll, aber ich schaue es auch nicht nach weil es mir letztendlich nicht wichtig erscheint. Der Refrain bleibt zurück; dieses durch die hellen Lichter an eine bestimmte Situation erinnert werden. Jeder Mensch hat solche Momente, ganz plötzlich an lang vergessene Begebenheiten denken zu müssen wegen eines Geruchs, einer Bewegung etc., und ich denke diese Art der Erinnerung ist der Kern des Textes. Auch an dieser Stelle könnte das Album wieder gut aufhören und den Hörer mit seinen Erinnerungen zurücklassen, aber es folgt noch 'Perfect Strangers'. Der Name erinnert natürlich an 'Strangers', einem wundervollen Dave Davies-Stück aus dem Jahr 1970. 'Perfect Strangers' kommt mir vor wie eine Fortsetzung von 'Bright Lights', oder besser gesagt wie eine alternative Version. Es wird klar warum die Stücke nicht auf der ursprünglichen LP sind – sie durchkreuzen die Gesamtkomposition des Albums. Diese ist nämlich ziemlich gut durchdacht (und aus der Perspektive natürlich schon eine Art Konzept). Die Aufteilung in ¾ Ray Davies und das letzte Viertel Dave Davies erscheint etwas experimentell und geht nicht wirklich auf, aber wie ich schon anmerkte, es hilft wenn man sich die letzten drei Lieder als eigenständige EP denkt.

UK Jive hat nicht die Klasse der besten Kinks-Alben, aber es ist wirklich nicht schlecht und wartet mit respektablen Highlights auf. Ich kann durchaus empfehlen es mal auf sich wirken zu lassen – vielleicht entdeckt ja der geneigte Kinks-Interessierte noch das ein oder andere Kleinod, welches bis jetzt untergegangen ist.

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