Donnerstag, 6. November 2014
Angelika Express - Tantenmaschine
Ja, das Album ist uns natürlich schon aufgrund seines Namens höchst sympathisch. Deshalb darf man an dieser Stelle keine objektive journalistische Arbeit erwarten. Bereits 2011 führten wir mit Angelika Express Mastermind Robert Drakogiannakis ein aufschlussreiches Interview, damals auch mit ein paar Fragen zu den kreativen Geschäftsmodellen der Band. Nachdem das mit der Angelika-Aktie zwar eine vorzügliche Idee war, monetär aber eher so mäßig lief (zumindest als Wertanlage – mein Geld habe ich glaube ich wieder zu größten Teilen raus bekommen, also ich bin zufrieden), legt die Band ihren Fokus auf Super Sonder Editionen, die verdammt teuer sind, es aber auch in sich haben. Die Band hat einen ausreichenden Kern an Die-Hard-Fans, die sich gerne jene Monstren in den Platten- bzw. CD-Schrank stellen. Das letzte Album Die feine englische Art erlebte beispielsweise die Veröffentlichung als 'Angelika Box', ein Trumm voller toller Musikliebhaberobjekte, inklusive CD, Vinyl und Kassette mit jeweils anderen Versionen der Lieder, sowie Siebdrucken und Riesenbooklet.
Im Jahr 2014 sieht das Modell ähnlich aus. Tantenmaschine erschien in diversen Abstufungen. Vom Gratis-Download der Hälfte des Albums, über einen günstigen Download einer 12-Lieder-Version, einer noch voller gepackten CD-Edition, bis zur formschönen Liebhaberbox für 40€, ist alles dabei. Bei der Luxusversion geht die Personalisierung sogar so weit, das die/der BesitzerIn ein exklusives Intro auf dem Tonträger bekommt. Neben großformatigen Prints, umfangreichem Booklet und einer weiteren CD mit Demos, hatte die Band noch die wunderbare Idee eine DVD mit sämtlichen Spuren beizulegen, sodass man sich sein ganz individuelles Album mischen kann.
Die neueste Veröffentlichung von Angelika Express kann sich auf jeden Fall hören lassen. Musikalische Überraschungen im größeren Stil wären, nunja, überraschend gewesen. Die eingängige Hektik mit einem Fokus auf E-Gitarren und Synthie(Stylophon-)spielereien als Markenzeichen ist ausschweifend vorhanden. Eine Erneuerung ist nicht nur die wieder einmal umfangreicher gewordene Besetzung. Es sind auch zwei Lieder, welche nicht von Robert, sondern von Neuzugang Annick Manoukian stammen. (Es ist zumindest das erste mal seit der mittlerweile antiken 'Nimm mich mit'-Single aus dem Jahr 2004, das jemand anderes als Herr Drakogiannakis Texte beisteuern darf/kann/will.)
Als Rezensent nimmt mir die Band glücklicherweise die unsägliche Aufgabe ab irgendwelche 'klingt wie die und der'-Formulierungen zu nutzen – die Einflüsse stehen nämlich direkt neben den jeweiligen Texten im Booklet (der Luxusversion). Sehr praktisch.
Was erwartet uns? 16 Lieder, welche einen Spannungsbogen rund um die altbewährten Themen Liebe, Kapitalismus und Punks aus der Zukunft bieten. Punks aus der Zukunft? Ja, das Album ist auch eine Ermahnung an jene Leute, die heute Punks aus der Zukunft von 'damals' sind. Die Zukunft war früher ja bekanntlich viel schöner. In 'Der kleine Kapitalist' (definitiv eines der Highlights des Albums) werden jene Punks aus der Zukunft in die Verantwortung genommen für die Befreiung vom Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Irgendwie hat das mit dem Ende des Kapitalismus bisher noch nicht so ganz geklappt.
Punks aus der ZukunftErlöset uns von den ErlösenWir Guten, wir Netten, wir BösenKeiner kommt sonst lebend rausAuf der Suche nach EnergieNimmt er sich alles wie du dir nieAuf der Suche nach EnergieBleibt nur die nackte Anarchie
Punks sind überhaupt recht stark vertreten auf dem Album, nicht nur im naheliegenden Stück 'Hallo Punks aus der Zukunft', in welchem sie als Opfer der Kreativwirtschaft betrauert werden. Es enthält auch eine meiner liebsten Textpassagen des Albums:
Neulich hatte ich den EindruckIch hätte einen von euch gesehenAuf dem Aldi ParkplatzEr stand in der AusfahrtUnd hatte eine Revolverheld CD in der HandDann hatter mich angesehn, dann hatter gesacht:EY! Es wird niemals aufhörn!
Revolverheld. Ja, das ist bitter. Dem schließt sich inhaltlich 'Das letzte rote Lied' an. Gerade die (die Punks der Zukunft in der) Kreativwirtschaft erkannte(n), das sich der kämpferische Abgesang ganz gut vermarkten lässt, was die aufrichtigen AbsängerInnen in eine Bredouille stürzt. 'Deine Arbeit', ein wunderbares Werk aus der Feder von Annick Manoukian, bietet jenen Abgesang. Ihr nehme ich ihre Aufrichtigkeit natürlich ab, und die ein oder andere gelungene Hymne im Kampf für das Grundeinkommen schadet nicht. In 'Besoffen im Park' ist der Lösungsansatz das Besäufnis, damit nichts mehr produziert werden kann und der Kapitalismus sich auf diesem Wege verabschiedet. Hm, über die Idee muss ich noch einmal in Ruhe bei 2 bis 3 TetraPak Wein nachdenken. Dem generellen Konzept der Leistungsverweigerung wird nochmals gesondert in 'Der große Prokrastinator' gehuldigt. Diese Version der Revolution spricht mich schon eher an.
Sprengen wir die DenkfabrikenEinfach mit KarriereknickenVati wird uns ewig dankbar seinLos wir baun den Vorsprung abKeiner wird mehr nassVor dem Sprung kommt scheiternScheitern macht uns SpaßRevolution dank Prokrastination
Endgültig dem kapitalistischen Wahnsinn anheim gefallen ist der Protagonist aus 'Supermarkt', welcher sich in eben jenen verliebt. Eigentlich ist es nur konsequent, immerhin schenken uns diese Ketten ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit. Man kann das schließlich nicht immer nur schamlos ausnutzen, sie wollen doch nur unser allerbestes.
Wir sammeln die GefühleIm Bonusheft der Liebe
Und schon sind wir beim anderen wichtigen Thema: Hach, Liebe. Der Übergang ist fließend, denn soeben wurde noch die Liebe zum Supermarkt an sich besungen, und schon am Anfang des nächsten Liedes 'Gegen die Berliner Mauer zwischen dir und mir' dient der Supermarkt als Hilfsmittel zu zwischenmenschlichen Bekanntschaften.
Eben im Supermarkt, du mit dem EinkaufswagenDu hast mich angeguckt, du hast mich aufgeladenHammwer uns ausgezogenhass‘ mir den Arm verbogenHammer gelacht, dann haste gesacht: JaEs ist glasklar:Du musst weitersuchen auch in schwarzer NachtFalls du ankommst: vergiss nicht sofort anzurufenDann zünden wir die Explosion der Rockmusik undRebellionGegen die Berliner Mauer zwischen dirZwischen dir und mir
Am geschicktesten sind die beliebten Themen Kapitalismus und Liebe in 'Gentrify me' kombiniert. Laut Komponisten „ist eine Gentrifizierung der Gefühle gar nichts so abwegiges“. Darin mag einige Wahrheit stecken, wir haben sie in vielen Lebensbereichen schon verinnerlicht, warum also nicht auch zwischenmenschlich?
Wenn ich was andres willWenn ich nach draußen willBrauch ich Distanz von dirDann brauch ich 17 BierUnd komm ich endlich wegDann fühl ich mich wie DreckKomm lass mich endlich frei
Im weitesten Sinne ist auch 'Todesgirl' thematisch beim zwischenmenschlichen Miteinander angesiedelt. Nach dem 'Teenage Fanclub Girl' und dem 'Messy Girl' steht es in einer schönen Tradition von Liedern, die von eigenwilligen weiblichen Charakteren berichten. In dieser Serie steckt noch viel Potential (und eine Konzept-EP?).
Nach dem Genuss der bereits erwähnten Lieder ist man durchaus schon etwas reizüberflutet, allerdings hat das Album noch diverse andere Problematiken im Angebot. Im bunten Themenreigen gibt es beispielsweise noch 'Allemannjana', ein Lied über Integration aus der semi-autobiografischen Perspektive des Komponisten.
Wir fahrn fahrn fahrn mit der BammelbahnHalten in der Mitte der Gesellschaft anGroßer Bruder - Papa StaatIm Jobcenter gibt's KartoffelsalatAlarm Alarm in der KVBJeder Euro tut einzeln wehKomaschunkeln mit dem KontrolleurEndstation Eierlikör
Eierlikör ist tatsächlich die Endstation, in jeder denkbaren Situation. In 'Kronleuchter an' gibt es - Zitat: „indiegenen Kumpelrock“ zu hören, allerdings durchaus in einer noch gerade so erträglichen Variante. Wir bekommen auf dem Album außerdem ein Schmählied über Matt Damon, das krachig geratene Instrumentalstück 'Wirtschaftskrise', mit 'Toute l’année' das erste französischsprachige Lied der Bandgeschichte, und mit 'Agentur der Affen' eines der wirrsten Lieder der Band. Die darin enthaltenen Status Quo-Zitate tragen ihr Übriges bei. Ich darf mal kurz zitieren:
Du stehst vor derBundesagentur für GeschmacksverknappungBundesagentur für GeschmacksverklappungBundesagentur für GeschmacksverwirrungBundesagentur für GeschmacksverzerrungDu stehst vor dem GesetzDu fällst mit dem GesetzDu schläfst mit dem GesetzDie Agentur ist überallDen ganzen Tag ist KarnevalDie Stilisten sind verschimmeltSie wurden alle weggepimmelt
[...]
We‘re in the barmy army now
We‘re in the barmy army - now
This is the barmy army
This is the barmy army
This is the barmy-jummy-jummy-jummy
Barmy army now
Unterm Strich ist das mittlerweile siebente Album von Angelika Express umfangreich beladen mit allerlei uns bekannten Sachverhalten und diversen mitunter recht kreativen Lösungsansätzen. Es lohnt sich auf jeden Fall nicht nur die halbe Gratisportion zu hören, sondern ein wenig Geld an die Kunstschaffenden zu geben für die Download- bzw. die CD-Version. Es stecken immerhin zwei Jahre Arbeit in dem Werk. Finanziell flüssigeren Mitmenschen sei natürlich auch die Luxusversion ans Herz gelegt. Darin steckt auf jeden Fall noch mehr Arbeit, und auch definitiv mehr Liebe als im Edeka-Bonusheft.
Wer jetzt mehr als nur Snippets hören möchte, kann hier gratis und unverbindlich 8 der 16 Lieder bekommen. Fairerweise wäre es toll für die Band, bei Gefallen freiwillig den Link an den einschlägigen Orten zu teilen.
Und es gibt noch einen schönen neuen Service: Wenn man sich denkt, ich investiere mal 7€ in die 12-Lieder-Version, Gefallen daran findet und doch die CD- oder gar die Luxus-Edition erwerben möchte, wird das Geld voll angerechnet. Potentielle TonträgerkäuferInnen machen also mit dem Download nichts falsch.
Öffne die Fenster, schau in die Zukunft!Schau in den Himmel!In dieser Welt in der alles möglich istFüll dein Glas mit edlem Rotwein!Leg dich in die goldene Hängematte!Nimm einen tiefen Zug aus der Zigarette des Glücks!Die Welt gehört dir!Die Welt gehört uns!Deine Arbeit ist minus 10 Milliarden wertDeine Arbeit hat dich dein Leben lang beschwertDeine Arbeit verschwendet dich die ganze ZeitWir zerstören den Komplex - wir sind bereitWir zerstören den Komplex - wir sind bereitDeine Arbeit
Abonnieren
Kommentare zum Post
(
Atom
)
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen