Samstag, 20. Dezember 2014
Musik und Nebenwirkungen: Der unglückliche Typ im Plattenladen
So geht Plattenladen! Die sind auch alle total glücklich. (aus 'High Fidelity') |
Ab und an betrete ich einen bestimmten Plattenladen aus einem inneren Drang heraus, der weder mit dem Laden noch seinem Inhaber etwas zu tun hat, sondern mit guten Angeboten. Eigentlich gehe ich sogar trotz des Ladens und trotz des Inhabers dorthin. Der Laden ist das Gegenteil meiner Vorstellung eines idealen Plattenladens. Er ist hell, kühl, es läuft belangloses Gedudel, und ist generell denkbar uneinladend eingerichtet, sodass man schnell die Flucht ergreifen möchte. Nicht nur der Laden sagt – 'eigentlich wollen wir so jemanden wie dich hier nicht haben', sondern auch der Typ hinterm Computer sagt das nonverbal.
Der Typ hinterm Computer ist seit gefühlt 80 Jahren der selbe Typ, und er ist immer da. Er war noch nie nicht da. Alleine dieser Umstand stimmt mich nachdenklich, ist doch dieser Laden kein schöner Ort zum Verweilen. Andererseits, es scheint ihm offensichtlich genau so zu gefallen. Und es scheint auch dem Publikum zu gefallen, denn die Miete wird nicht allzu günstig ausfallen, und von ein paar wenigen verirrten Gestalten und diversen zwangsgestörten Tonträgerkaufenden (in diese Kategorie muss ich mich wohl einordnen) kann das ohne Sonnenbrille schwer zu ertragende, grelle Etablissement sicherlich nicht dauerhaft überleben. Mittlerweile gehe ich in erster Linie nicht mehr zum Erwerb von Platten dorthin, sondern einfach um nachzuschauen, ob alles noch so ist wie es immer war. Sollte es eines Tages nicht mehr so sein, wird mich dieser Umstand verstört zurücklassen. Ich mache mir aber deswegen keine Sorgen, denn es gibt keine Anzeichen für auch nur die geringste Veränderung in den letzten 95 Jahren.
So steht er da, Jahr um Jahr, eingesperrt in diesen winzigen Raum, und altert mit mir um die Wette. Man mag einwenden, andere Menschen gehen jeden Tag in noch hässlichere Büros und verrichten dort ihre monotone Arbeit. Jene Menschen können allerdings an der angeborenen Tristesse von Büros nichts ändern, der Typ im Plattenladen könnte aber schon, möchte offensichtlich nur nicht. Allerdings schaut er immer unglücklich drein, was zwar ins Bild passt, aber die Dauerhaftigkeit dieses Umstandes mich stutzig werden lässt.
Wenn ich das nächste Mal diesen Laden betrete, schaue ich unauffällig nach einer Fußfessel an seinem Bein. Vielleicht wird er auch bedroht und verbrecherische Kreise halten enge Verwandte als Geiseln. Ich werde ihm einfach einen Zettel zustecken, auf dem steht: „Wenn du hier als Geisel gehalten wirst, lächle bitte kurz“. Sollte er dann nach Jahren Martyrium ein Lächeln zeigen, werde ich mir nichts anmerken lassen, den Laden verlassen, und schnurstracks zur Polizei gehen.
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