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Dienstag, 17. März 2015

Interview: Boo Hoo zur neuen EP 'Olympic Village Blues'

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Boo Hoo - Olympic Village Blues EP

Als Spätentwickler haben wir Boo Hoo erst 2012 zu schätzen gelernt. Damals war er der goldrichtige Support für die Toby Goodshank-Tour. Bereits seit 2006 veröffentlicht Bernhard aka Boo Hoo in aller Regelmäßigkeit Alben und EPs. Die neueste EP stammt aus 2015, heißt Olympic Village Blues, und ist wie immer hervorragend gelungen. Wir haben ihn zu seinem neuesten Werk detailliert befragt:

Tante P: Deine neue EP heißt 'Olympic Village Blues'. Unsere Gedanken schweiften unweigerlich zum abgesperrten, im Zerfallsprozess befindlichen Olympischen Dorf im Speckgürtel Berlins. Dieser Anblick steht wie sonst kaum einer für den sehr kurzen Moment in der Geschichte, in dem es bedeutend war. Danach dreht sich die Erde weiter, und das Dorf verfällt im Stillen. Geht es dir im gleichnamigen Titelstück um den großen Moment, um die Zeit, die ihn in Vergessenheit geraten lassen wird, oder um etwas ganz anderes?

Boo Hoo: Konkret geht es im Song um eine Athletin, die damit nicht klarkommt dass das Olympische Dorf abgerissen wird, in dem sie damals wohnte. Sie schaut mit einem Auge in die Vergangenheit und sieht den Ort ihrer Erinnerung verschwinden. Sie ist traurig, hat dieses unbestimmte Gefühl zu nichts zu gehören, eben den Olympic Village Blues. Das ist ein Gefühl, das ich sehr oft habe und dem ich einen Namen geben wollte. Gerade in meiner Heimatstadt Frankfurt habe ich oft so eine Art Blues. Alles wird ständig neu gemacht und soll blitzblank und renoviert sein, damit die Touristen und die Eliten ihr Geld in der Stadt lassen. Die echte Stadt ist schon längst nur noch Fassade und selbst die wird ständig neu aufgebaut und wieder eingerissen, für das nächste große Ding. Ich glaube in dieser Welt der Hypergentrifizierung leben wir alle ein bisschen im Olympischen Dorf. Das finde ich scheiße.



Tante P: In Champs-Élysées geht es ebenfalls um einen bestimmten Moment, und um die räumliche Distanz. Sie ist sicherlich eine der einschneidendsten Veränderungen in Beziehungskonstrukten über die letzten Jahrzehnte. Das Lied deutet das Festhalten an dem glücklichen Moment an, welcher die widrigen Umstände überbrücken soll. Ist es für dich ein trauriges oder eher ein fröhliches Lied?

Boo Hoo: Der Champs Élysées ist einer der interessantesten und melancholischsten Orte die ich kenne. Er ist unheimlich lang, furchtbar breit und prallvoll mit Menschen, die dort zwei Dinge machen wollen: Erstens einkaufen und zweitens fotografieren. Beide Tätigkeiten sind Ausdruck des Sammelns und des Erinnerns. Fotos kann man sich Jahre später noch wehmütig ansehen und in der Zeit zurückreisen. Wenn man das Kleid trägt, das man in Paris gekauft hat, dann verbindet es einen noch mehrere Sommer später mit seinem schönen Urlaub und den Menschen, mit denen man ihn verbracht hat. Was aber wenn diese Menschen nun weg sind? Man steht alleine mit seinen Erinnerungen da, mit den Klamotten, die man zusammen anprobiert hat, und die Fotos wirken seltsam leer. Es ist fast ein bisschen so, als hätte man das garnicht erlebt und man sieht sich als Fremden auf den Bildern. Ich glaube jetzt oder am Ende meines Lebens alleine mit meinen ganzen Erinnerungen dazustehen macht mir Angst. Um dieses Gefühl geht es letztlich in dem Song. Trotzdem ist es ein fröhliches Lied, weil man ja keine Wahl hat: Man lebt und erinnert und irgendwie sind im Rückblick selbst die bittersüßen Dinge schön.

Tante P: 'Win Win' hat eine ähnlich ambivalente Note, allerdings wirst du inhaltlich deutlicher: „Me I'd rather let the great world spin than be paralyzed be a pounding voice within, I think that's a win win.“ Du besingst einerseits natürlich wieder den Moment, aber auch die vielen Menschen vertraute Fremdheit gegenüber dem neoliberalen Leistungsgedanken, wenn wir das mal so formulieren dürfen. Hast du selbst einen einigermaßen praktikablen Weg für dich gefunden, oder suchst du noch?

Boo Hoo: Viel hat damit zu tun sich keine Angst einjagen zu lassen. Jahrelang habe ich geglaubt das Leben besteht daraus sich zu beweisen anhand Wegmarken, die die Leistungsgesellschaft vorgibt. Schule, Uni, Beruf, Geld anhäufen. Irgendwann habe ich unbewusst dieses Beweisdenken auf die Musik übertragen und gemerkt: Das ist Gift für die Musik und schadet meiner ganzen Sicht auf die Welt. Die mag vielleicht naiv sein, aber genau das ist es doch, was Songschreiben so schön und wertvoll macht. Meine eigene Sicht, die garnichts leisten muss, außer eben aus mir heraus zu kommen. Ich lebe mittlerweile nach dem Motto: „Ich muss der Welt nichts geben, was nicht 100%ig ich bin, denn das hilft weder mir noch der Welt.“ Wenn ich allerdings mache, was ich möchte, mich nicht einschüchtern lasse von diesen ganzen modernen Ängsten, von denen mir eingeredet wird ich müsse sie haben (also der "pounding voice within"), dann kann ich etwas Einzigartiges in die Welt setzen. Als Musiker, als Geldverdiener, als Liebespartner. Was ich da mache sehen und hören andere, sind inspiriert und setzten wiederum Einzigartiges in die Welt. Das sehe dann ich und bin inspiriert. Win Win eben.

Tante P: Bei 'Sadderdays' hast du den Text mehr als deutlich als Referenz an zwei wichtige Werke der neueren Musikgeschichte gestaltet. Einerseits die herrlich altbacken wirkende, aber stets aktuelle Frage 'How many roads...?, anderseits die Anlehnung an den Motown-Klassiker 'Stop! In the name of love', in der du die Herzensbrecherrolle umdrehst. Was bewog dich diese Ideen zu kombinieren? Das Lied ist der düsterste Punkt der EP, im Kontrast zum vorhergehenden 'Win Win'. Sind sie auch zeitnah zueinander entstanden, oder stehen sie für unterschiedliche Lebensabschnitte?

Boo Hoo: Die Zeile "How many roads..." von Bob Dylan steht für die ewige Suche nach Frieden. Bob Dylan meinte damit eher einen gesellschaftlichen Frieden, einen Zustand ohne Krieg. Bei mir bezieht er sich eher auf inneren Frieden. Wann hört der Krieg im eigenen Kopf auf. Muss ich mit meinen Dämonen kämpfen oder kann ich ihnen davonlaufen/davonfahren? Wenn ja, wieviele Straßen muss ich dafür nehmen? Auf der anderen Seite ist das ganze ein Trugschluss und wird nie funktionieren. Man muss den Krieg kämpfen, damit er aufhört, zumindest den inneren. Wenn ich mich nicht stelle und vor meinen Gedanken weglaufe, dann entkomme ich vielleicht meinen Ängsten, aber auch allen wundervollen Gedanken. Und das ist letztlich noch viel schlimmer. Darum: Stop!!! In the name of love! Der Song ist eine Botschaft an mich selbst, nicht wegzulaufen und zu lernen, dass man Liebe nicht ohne Angst haben kann.

Tante P: Die Frage nach 'How many roads' kann man auch gut ins Lied 'Drive' transportieren. Hier geht es zwar auch um den Moment, aber er bleibt unbestimmt und beliebig wiederholbar. Unsere Assoziation mit dem Lied ist am ehesten das Wort 'Flucht'. Steckt in dem Stück tatsächlich dieser Gedanke, oder geht es doch eher um sagen wir mal Tramper-Serienkiller?

Boo Hoo: Der Song ist selbst für mich superkryptisch. Der erste Song, den ich tatsächlich in 20 Minuten geschrieben habe. Ich habe einfach geschrieben und erst später darüber nachgedacht was ich mit den Texten sage. Eigentlich geht es um den State of Mind als Fahrer, bei dem du einfach fährst, und über nichts anderes nachdenkst als zu fahren. Also schon ein bisschen Flucht vor seinen eigenen Gedanken. Einzig die Bridge im Song hat einen wirklich konkreten Bezug zur Realität:
Als ich "Drive" geschrieben habe kam ich tatsächlich von einer längeren Autofahrt. Auf den Raststätten zwischen Eisenach und Berlin ist mir aufgefallen, dass irgendjemand immer wieder das selbe an die Wände in den Autobahnklos geschrieben hat:
„Meltem ich liebe Dich! Wo bist Du?“ Das hat mich so gerührt. Wer war dieser Typ und wieso hält er überall an um nach Meltem zu suchen? Gleichzeitig war es eigentlich total skurril, weil es ja auf die Männertoilette geschrieben war, wo Meltem doch wahrscheinlich nie hinkommt.

Tante P: Mit 'Karl Lagerfelds Eyes' kehrst du ein wenig zum Thema von 'Win Win' zurück, der hektischen Welt um uns herum. Aber auch zu der Beobachtung, seine Augen noch nie gesehen zu haben. Meinst du Sonnenbrillenmenschen haben etwas zu verstecken?

Boo Hoo: Ich habe mich nie daran gewöhnen können mit Menschen zu reden, die eine Sonnenbrille aufhaben. Selbst meiner Freundin muss ich manchmal kurz die Sonnenbrille anheben und in ihre Augen sehen, wenn wir uns im Sommer draußen unterhalten.
Ich brauche dieses konstante Feedback mit den Augen und muss Menschen oft tief in die Augen schauen bei Gesprächen. Generell glaube ich nicht, dass Sonnenbrillenmenschen etwas zu verbergen haben. Bei Karl Lagerfeld sieht die Sache aber anders aus:
Bei einer Person, die ein solches Leben wie er gelebt hat, sprechen die Augen doch Bände. Oft verbindet ein Blick in die Augen lose Eindrücke zu einem ganzen Menschen. Warum lässt Karl das nicht zu? Er will, dass wir seine Sachen kaufen und ihm zuhören wenn er redet, aber wir dürfen nicht sehen, wer er ist? So gern ich ihn habe, und so toll ich ihn finde. Seine Sonnenbrille macht ihn zu einem der gruseligsten Menschen die es gibt!



Tante P: Du warst mit Toby Goodshank unterwegs, hast eine Zeit lang in New York gelebt, und bist Bestandteil der unter dem Begriff 'Anti-Folk' vereinten Künstlerinnen und Künstler. Was bedeutet das Label 'Anti-Folk' für dich? Empfindest du diesen Umstand eher als Einschränkung oder als Bereicherung?

Boo Hoo: Seit ich den Begriff Antifolk zum ersten Mal gehört habe, war er für mich immer nur positiv besetzt. Ich verbinde mit der Szene bis heute Mut unkonventionell zu sein, sich Zeit und Raum zu geben einzigartig zu sein und Respekt dafür, dass jeder seine eigene Art hat. Das hört man in der Musik, deren Spielarten sehr unterschiedlich sind, und das merkt man den Menschen an, die die Szene ausmachen. Als ich Antifolker dann persönlich kennengelernt habe und mit ihnen Musik gemacht habe, habe ich das alles bestätigt gesehen. Toby Goodshank ist ein einzigartiger Künstler, dessen Vielschichtigkeit in kaum einer anderen Szene so sehr gewürdigt würde wie in der New Yorker Antifolk Szene, die einfach keine Schranken im Kopf hat. Alleine die Tatsache, dass die Szene Menschen wie Toby oder auch Jeffrey Lewis hervorgebracht hat und ihnen erlaubt zu wachsen gibt mir Mut. Gerade als halbgriechischer Songwriter, der in Deutschlands Bankenhauptstadt weder griechisch noch deutsch singt und dem auch sonst die gängigen Schubladen nicht liegen gibt mir diese Zugehörigkeit viel Mut. Was glaubt ihr, wie oft ich mich fragen lassen muss warum ich nicht auf deutsch singe, oder die "Ethno-Karte" ausspiele, ich müsse doch aus meinem Migrationshintergrund Profit schlagen. Dann könnte ich doch viel erfolgreicher sein... Früher hat mich diese Engstirnigkeit wütend gemacht. Heute denke ich einfach daran, was meine Freunde in der Antifolk Szene sagen würden, lasse die Leute reden und mache einfach mein Ding.

Tante P: Was werden wir von Boo Hoo 2015 noch sehen und hören können?

Boo Hoo: Im Herbst werde ich mit "Olympic Village Blues" auf Deutschland-Tour gehen. Bis dahin gibts viele Konzerte in Rhein-Main. Es wird auch noch zwei weitere Musikvideos geben. Zu "Sadderdays" und zu "Drive", denn am Video Drehen und Schneiden habe ich seit dem "Olympic Village Blues" Video großen Spaß gefunden. Außerdem werde ich weiter meine Reihe von Instore Gigs im Frankfurter Schallplattenladen Number Two hosten, bei der lokale und internationale Songwriter jenseits des Mainstreams auch in Frankfurt ein Forum bekommen.

Vielen Dank Bernhard!

Kauft die EP!
Alle Infos unter www.boohoomusic.com.



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