Freitag, 17. Juli 2015
Musik und Nebenwirkungen: Schön von hinten - der zukünftige 360°-Wahn
Christian
...und sonst so
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Musik und Nebenwirkungen
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Orchestre Miniature in the Park
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(Technische Anmerkung: Es tut sich momentan viel was die Wiedergabe angeht. Zur Zeit 'sollte' es mit Google Chrome bzw. der Youtube App für Android funktionieren.)
Wir befinden uns im Jahr 2015, für welches uns eigentlich Schwebeboards und fliegende Autos versprochen waren (und eine Abstinenz von Mobilfunkgeräten – nicht etwa die Smartphone-Dystopie, in der wir tatsächlich leben müssen).
Das hat (bis jetzt!) noch nicht so ganz geklappt, aber andere spacige Technikdinge finden Einzug in das kreative Schaffen der Menschen. Nicht nur der Drucker kann heutzutage auch Häuser, Schnitzel oder Mini-Eifelturmschlüsselanhänger drucken, sondern auch das Kamerawesen erreicht schwindelerregende Fähigkeiten, und zwar im wortwörtlichen Sinne.
Dreihundertsechsziggrad heißt das neue Zauberwort der Filmtechnik. Kann man auch mit Fug und Recht 4D nennen (ab der fünften Dimension wird es schwierig, aber es soll ja recht viele geben). Kennt man schon von Fotos, ist jetzt allerdings auch soweit gediegen, dass sich bewegte Bilder mehr oder minder gut darstellen lassen. Bands, die was auf sich halten, haben die Technik natürlich schon auf Konzerten ausprobiert und posen sich damit durch die Gegend, und zwar durchaus mit Erfolg. Das erstaunt so halb, denn natürlich ist die Technik hochinteressant und es ist ein ulkiges Gefühl sich frei in einem Video drehen zu können, doch bleibt bei den Konzertaufnahmen das Gefühl zurück, dass das Potential noch nicht einmal einen Müh weit ausgetestet wurde. Es erinnert an die ersten Filme, bei denen einfach nur ein Zug vorbei fährt, oder Arbeiter*innen aus einer Fabrik kommen. Der gedankliche Schritt zum Film als eigene Kunstform hat schließlich ein paar Jährchen gedauert, und noch länger das Austesten von 'Special Effects' und Film als eigene Erzählweise. Genauso scheint es auch bei der 360° Technik zu sein. Es eröffnet sich ein kaum überschaubares Feld an Möglichkeiten, doch bis jetzt sind es erst die Menschen, die aus der Fabrik kommen. Das wird sich natürlich ändern, und die Musikschaffenden haben die rare Chance bei der Einführung dieser Technik (und 360°-Projektionstechnik) in einem größeren Rahmen ganz vorne dabei zu sein, nebst Landschaftsaufnahmen, Feuerwerk und Gedöns. Wo bleibt ein echtes 360°-Musikvideo? Also ein Kurzfilm im drei-Minuten-Format, keine Band-spielt-irgendwas-und-wird-dabei-gefilmt-Filmchen.
Hurtig hurtig, ihr Independent-Kunst-Menschen, bevor es U2 machen!
Der dystopische Aspekt sollte natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Schon heute terrorisieren Menschen andere Menschen bei Konzerten mit dem permanenten Filmen und Fotografieren des selben (wir echauffierten uns schon einmal ausführlich), wie soll das erst werden wenn handliche kleine 360°-Filmkügelchen erhältlich sind? Muss dann unsereins nicht nur den versperrten Blick durch ein überdimensioniertes Telefondisplay ertragen, sondern sich auch noch als Teil der Menschenmasse filmen lassen von einem komplett unbekannten, narzistischen Mitmenschen? Und wenn man dann böse guckt, ist das ja im Film inklusive, ohne dass das filmende Subjekt davon bei der Aufnahme Kenntnis erhält. Hm, schwierig. Vielleicht sollten wir doch zurück in die Zukunft, und alle Spacephones gegen Schwebeboards eintauschen. Auf so einem Schwebeboard könnte man wenigstens als kleiner Mensch bei großen Konzerten auch etwas sehen, und das frei von Displays. Hach, manche Utopien sind zu schön für die reale Welt.
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