Donnerstag, 1. Oktober 2015
Masha Potempa - Rauchschwalben am Horizont EP
Mash Potempa - Rauchschwalben am Horizont EP (VÖ 23.10.2015) |
Wir verdanken der SAGO-Schule außerordentlich viel freigesetztes Potential lyrischer Schaffenskraft in deutschsprachigen Liedtexten. In den Seminaren wird an Möglichkeiten geforscht, nicht nur Musik, sondern auch das Texten nach Regeln erlernbar zu machen. So ganz falsch kann der Gedanke vom leider 2015 verstorbenen Gründer Christof Stählin nicht sein, denn Namen wie Uta Köbernick, Sebastian Krämer, Judith Holofernes, Danny Dziuk und Dota stehen für eine sonst kaum erreichte lyrische Qualität. Und unter uns, werden zum Beispiel die genannten Künstler*innen bunt durcheinander gemischt gehört, sind Parallelen unverkennbar, ohne es von außen ganz konkret als Regelwerk beschreiben zu können.
In dieser Reihe folgt ein Name, der noch recht frisch auf Teilnahmelisten von SongSlams und Kleinkunstbühnen auftaucht: Masha Potempa. Sie fügt sich ebenfalls prima in den genannten Mix, auch wenn sie im Gegensatz zu den meisten anderen weniger die Pointe sucht, sondern mehr den poetischen Aspekt in Liedtexten. Weil sie noch recht am Anfang ihres Schaffens steht, hat sie erst seit 2015 ihr erstes Soloprogramm, und konsequenterweise folgt nun der erste Tonträger.
Auf jene EP mit dem Namen Rauchschwalben am Horizont wollen wir an dieser Stelle aufmerksam machen. Themen der EP sind „Heimweh, Fernweh und all die bunten Zwischentöne“, was für vier Lieder schon mehr als genug Stoff ist. 'In einer Stadt in der Ferne' bedient die Abteilung Fernweh, wie am Titel wenig subtil zu erkennen ist. Das Lied wurde allerdings nicht so allgemein gehalten, wie nun vermutet werden könnte. Der Autor dieses Artikels tippt schon aufgrund der musikalischen Umsetzung der Studioversion auf spanische Gefilde, und auch textlich scheint das stimmig. Masha Potempa singt im Lied nicht nur über einen Maler, der sich an seinem Wirken inmitten der Touris erfreut, sondern nimmt auch selbst diese Perspektive ein.
Ich wanderte durch alle Gassenund durch viele seiner Bilderauch wenn die Farben langsam verblassensie strahlten für uns beide wilder
Das Lied versteht sich wohl selbst als Gemälde, denn die Darstellung der Stadt bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen akkurater Beschreibung und künstlerischer Freiheit in der lyrischen Umsetzung. Dieses mediterrane Feeling bleibt uns allerdings nicht erhalten, denn in allen anderen Liedern ist die gefühlte Temperatur ausgesprochen kühl. 'Schnee' ist das beste Beispiel dafür. In diesem Lied nimmt Masha die Perspektive des Schnees ein, und erinnert aus dessen Sicht an die Vergänglichkeit (das mögen wohl die erwähnten 'Zwischentöne' der EP sein) des Momentes, mit optimistischem Ende.
Die Sonne wird mich findensie hat manches mit mir vorZur Luft werd ich entschwindenund steig zu ihr empor
Es fehlt noch die Abteilung 'Heimweh', und diese wird fast sechs Minuten lang in 'Ach, Berlin' besungen. Masha und der Autor dieses Textes sind ungefähr gleich lang in Berlin ansässig, und zumindest für mich ist es der einzige Begriff von Heimat, den ich habe, wenn überhaupt. Das ist natürlich nur eine persönliche Sicht der Dinge, aber deswegen mag dieses Lied aus dieser Perspektive das klassische Berliner Heimatlied des 21. Jahrhunderts sein, inklusive aller Ambivalenzen. Masha Potempas SAGO-Kollege Danny Dziuk hat übrigens mit 'Mein schönes Berlin' ebenfalls ein wunderbares Lied über diese obskure Stadt geschaffen, aber ich schweife ab. (Allerdings ist es trotz der deutlichen Unterschiede durch die ganz eigenen Ausdrucksformen der beiden doch sehr interessant beide Lieder nacheinander wirken zu lassen.) Masha beschreibt in ihrem Lied ihre ambivalente Haltung zur Stadt, wie sie wohl die meisten überkommt, die ein paar Jahre in ihr wohnen. Genau genommen beschreibt sie auch nicht die Stadt, sondern den hippen Sumpf aus Zugezogenen in den einschlägigen Vierteln, aber das hat das Lied mit den meisten anderen zeitgenössischen Werken über Berlin gemeinsam – Speckgürtel, Marzahn, oder auch schon Charlottenburg finden in ihnen kaum statt. Diese Unvollständigkeit sei all jenen Liedern aber auch verziehen, denn wer sich nicht ausufernd rumtreibt, kommt mit diesem Berlin eigentlich nie Kontakt, außer vielleicht im unfreiwilligen Umgang mit BVG-Angestellten.
Das hibbelige Berlin wird 'Ach, Berlin' jedenfalls äußerst scharfsinnig dargestellt, auch nicht ohne hintergründigen Witz, wenn beispielsweise das Wort 'Großbaustelle' fällt.
Und ich fand meine Heimat in deinen StraßenWenn Nächte zuweilen die Tage vergaßenUnd die Sonne nachts nur noch heller schien[...]
Und wohin mich deine Kälte auch verjagtImmer werde ich nach dir gefragtUnd deinem Namen wird Bedeutung verliehenAch, Berlin?![...]
Die S-Bahn ist mein leuchtendes Schiffund zieht mich durch Häuserreihen und SiffWenn die Ratten in den Untergrund fliehen[...]
Ach Berlin, wer weiß wie lange du mich noch hältstUnd dir in den Lumpenpailletten gefällst.Du bleibst doch nur ein ewig junger Spleen
Der Abschluss der EP ist 'Schaukelzeit', ein Lied über die Hollywoodschaukel. Klingt wie eine typische Aufgabenstellung für SAGO-Schüler*innen. Eigentlich hören wir aber ein sehr persönliches Werk, über die Oma und eine Kindheitserinnerung. Es ist allerdings keineswegs schwermütig, sondern sogar das...beschwingteste...Lied der EP.
Und weht über uns schon die raue Nachtdann wird im Schlafe noch leise gelachtund wir sehen uns beide noch immer dort schwingenund mit der Nachtigall Lieder singenUnd im Traume schwanken wir wie das MeerHin und her, hin und herDie Glieder so leicht und die Lider so schwerHin und her, hin und her
Und dann kommt...nichts. Das ist wirklich zu bedauern. Die CD hört dort auf, wo sie eigentlich erst in ihrer Mitte ankommen sollte. Vier Lieder sind nicht genug, ich denke es muss dringend ein Album her. Trotzdem können wir natürlich auch diese gut 17 Minuten sehr empfehlen.
Mehr Infos zu Masha Potempa und ihrer EP Rauchschwalben am Horizont unter mashapotempa.de
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