Montag, 16. November 2015
Musik und Nebenwirkungen: Wie wir tanzen wollen
Das sich für diese Kolumne aufdrängende Thema bedarf keiner Erklärung. Im Spannungsfeld zwischen dem Wissen um die schrecklichen Kriegszustände an vielen Orten der Welt, und der extra Portion persönlicher Betroffenheit, wenn Hass und Gewalt in unsere eigene eurozentristische Blase eindringen, fühlt es sich unmöglich an, angemessen zu reagieren. Gerade für uns als eifrige Konzertgänger*innen ist das Maß der persönlichen Betroffenheit noch einmal höher als sonst.
Wollen wir weiterhin unbeschwert öffentliche Räume nutzen? Wollen wir weiterhin frei den Dingen frönen, die uns wichtig sind, die uns auch in Teilen zu dem machen, was wir sind? Tanz, Musik, Liebe jeglicher Art, Sex und gar Drogen? Wir wollen keinesfalls die zivilisatorischen Errungenschaften der Aufklärung missen.
Können wir unbeschwert öffentliche Räume nutzen? Können wir frei eben all diesen Dingen frönen? Zu den alltäglichen Einschränkungen - mangelnde Säkularisierung, CSU, Pegida, (Liste hier mit Reaktionär*innen der Wahl fortführen) – gesellt sich zunehmend diese unmittelbar körperliche Bedrohung, welche sich ungleich bedrohlicher anfühlt, obwohl sie im Gegensatz zu den genannten Bedrohungen zumindest für uns in Mitteleuropa eine nahezu abstrakte bleibt, denn körperliche Gewalt ist und wird hier kein Alltag.
Der Ohnmacht gegenüber den empathielosen Terrorist*innen kann in unseren alltäglichen Leben nichts entgegengestellt werden. Wir sind auf transnationale Bündnisse und die ganz großen Lösungen angewiesen. Das kann nur gehofft werden.
Wir können nur das machen, was wir sonst auch machen. Spaß haben, unsere Freiheit genießen und unsere Freiheit gegenüber den Menschen verteidigen, die meinen es müsse Ausnahmezustände, geschlossene Grenzen, mit Maschinengewehren patrouillierende Menschen und möglichst lückenlose Generalüberwachung geben. Alles andere ist eine Kapitulation vor jenen Menschen, die in ihrer Jugend wohl selten Liebe und Anerkennung, dafür aber Ausgrenzung, Gewalt und Perspektivlosigkeit erlebt haben. Die Ursachen sind bekannt, aber die Umarmung, im eigentlichen oder im übertragenen Sinne, der gesellschaftlich Ausgegrenzten ist immer auch ein schwieriger Kampf gegen die eigene Bequemlichkeit.
Doch dieser Kampf mit sich selbst ist ein ganz wichtiger. Sicherlich gibt und darf es keine Anleitung geben, wie wir uns nach solch einem Geschehen verhalten sollen. Dennoch möchten wir auf eins hinweisen: die Angst darf nicht das auffressen, was uns so wichtig ist. Ja, auch wir sind betroffen von dem, was passiert ist. Aber wir sind es nicht direkt. Doch schaut man sich (gerade in der Presse und in sozialen Netzwerken) die Reaktionen an, so ist man doch fast gelähmt. Gelähmt ob der Angst die diese Reaktionen (wenn auch häufig unterschwellig) vermitteln, wie auch der immer gleich klingenden Bekundungen vieler, wie tief erschüttert sie gerade sind. Aus diesem Grund wird dann auch das Profilbild zur französischen Nationalflagge. Das soll keine Generalkritik sein oder werden, das maßen wir uns überhaupt gar nicht an. Dennoch - kennt man selbst Menschen, die von den Geschehnissen am Freitag betroffen sind, die Freunde verloren haben, Menschen die ihnen nah standen - so stößt man auf eine ganz andere, beinah bewundernswerte Reaktion. Sie sagen: lasst uns feiern, lasst uns tanzen, lasst uns lieben. Diese beiden Reaktionen so konträr gegenüber stehend zu beobachten, hat uns zum Nachdenken gebracht. Auch über die eigene Reaktion. Wir dürfen das nicht zu einer normalen Sache werden lassen, genau so wenig, wie wir es verdrängen dürfen. Vor allem dürfen wir uns aber nicht einschränken lassen.
Das Bands wie U2 oder die Foo Fighters ihre Tourneen absagen ist irgendwo verständlich. Irgendwo sollte es aber genau anders sein und heißen: trotzdem spielen wir! Trotzdem tanzen wir mit euch!
Es ist wohl ein fast unmögliches Unterfangen einen solchen Text nicht ausufern zu lassen, denn eigentlich wollten wir nur daran appellieren, genauso unbeschwert zu Konzerten zu gehen wie immer, und sich nicht den Ängsten hinzugeben. Stattdessen lieber mit extra viel Tanz, Drogen und Sex. Und als gute Tat danach einem Menschen helfen, der von der Gesellschaft abgehängt wird. Deal?
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