Dienstag, 12. Januar 2016
Falscher Ort Falsche Zeit - Power Pop & Mod Sounds from Germany, Austria & Switzerland 1980-1990
Christian
Bernd Begemann
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Bewegtbilder
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Der Böse Bub Eugen
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Dextrin
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Die Antwort
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Die Profis
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Die Time Twisters
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Family 5
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Huah
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Jetzt
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Lob und Kritik
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Mobylettes
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Painting By Numbers
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Raumpatrouille Rimini
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S-Chords
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Start
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Stunde X
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Vielleicht, vielleicht hätte alles ganz anders kommen können. Berühmt wie Nena und Die Ärzte, oder wenigstens halbberühmt wie Andreas Dorau, das hätten sie vielleicht sein können. Daraus wurde nichts, und jedes der Lieder scheint auch seine eigene Antwort auf die Frage zu geben, warum es in den meisten Fällen im Vergessen enden musste. Damit ist nicht die Qualität der Ideen gemeint, ganz im Gegenteil. Die Werke sind großartig, jugendlich energiegeladen, hoffnungslos optimistisch und leben den Moment. Twenty-something heißt dieses hibbelige Alter heutzutage, und genau das ist zu hören. Umso härter traf es wohl viele Protagonist*innen, als es nicht vorwärts ging. Das trifft aber nicht auf alle zu, an der Stelle ist die Compilation nur so mäßig konsistent.
Bernd Begemann hatte nie den Mainstream-Erfolg, aber er ist immernoch da und immer auf einem neuen Zenit, mit jedem Album und mit jedem Konzert. In 'Die Nacht, die niemand haben wollte' von 1985 wird sein späterer, wundervoller Kosmos allerdings nur hauchdünn angedeutet. Peter Hein ist nun wahrlich nicht unbekannt, auch wenn Family 5 völlig zu unrecht von der Zeit etwas vergessen wurde. Die Mobylettes sind Gegenwart, und mag auch das hier zu hörende schrammelige Cover 'Da Doo Ron Ron' wahnsinnig sympathisch und tanzbar sein – sie haben seitdem eine bemerkenswerte musikalische Entwicklung genommen.
Was macht diese Zusammenstellung so konsistent? Es sind die dünnen Stimmen, die dünnen Gitarren und der dilettantische Idealismus des DIY. Es fehlt die Rock'n'Roll-Pose, dafür haben wohl alle sehr viel The Jam gehört. Es ist keine Interpretation des Punk, es ist eine Interpretation von Motown, gemixt mit Kleinstadt, Dringlichkeit und Hormonen, und dem Drang sich in der Muttersprache mitzuteilen. Erstaunlich oft ist das naive, reine und minnengesanghafte Liebeslied vertreten. Start! (apropos Optimismus) singen in 'Wie du das machst' genau einen solchen süßen Zucker, Die Time Twisters minnesingen in 'Sonst…', Huah! machen das in 'Was soll ich mit der Welt, wenn ich dich nicht habe' (Hey, so unbekannt kann das Lied garnicht sein, wir haben schließlich einst im Jahr 2011 schon einmal davon geschwärmt), und Stunde X verbleiben im eher flachen, aber dafür verdammt eingängigen 'Hey Du!'
Der Rezensent möchte gerne jedes Lied zum Highlight erklären, aber so läuft das nicht. Das verschroben sehnsüchtige 'Lied für Werner Enke' von Painting By Numbers ist genauso ein Highlight wie 'Robsi Music' von Dextrin, ein schlichtes Loblied auf die Modszene (als großer Fan von Carsten Friedrichs, der diesen Sampler meisterhaft kompiliert hat, höre ich nach den letzten zwei Sätzen die Nachtigall aber ordentlich trapsen).
Aufbruch und Dringlichkeit klangen selten so schön wie im bislang völlig verschollenen Kleinod 'Voran! Voran!' von S-Chords. Solche Schätze zu heben ist mitunter eine der edelsten Aufgaben im Kulturbetrieb. Für uns nicht neu, aber zum ersten Mal auf einem digitalen Tonträger erscheint 'Vielleicht Menschen' von Jetzt! (apropos Dringlichkeit), die wir sehr verehren. Es ist eines der ganz großen Jetzt!-Lieder, aber das besondere Bonbon findet sich im Booklet – Michael Girke persönlich, also persönlich und in echt, hat sich schriftlich zu diesem Lied geäußert. Das ist eine Rarität sondersgleichen, und spätestens seit dem Übererfolg der sogenannten 'Hamburger Schule' wurde sicher in aller Regelmäßigkeit versucht dem auf dem Blumfeld/Sterne/Begemann etc. pp-Olymp sitzenden, nebulösen Godfather einige Worte zu entlocken. Chapeau!
Der Text kann an dieser Stelle nur beendet werden. Vielleicht war es so wie Die Profis sangen – 'Falscher Ort, Falsche Zeit'. Vielleicht haben diese Menschen aber auch mehrheitlich nichts mit dem Musikbusiness gemein gehabt. Um die 30 Jahre später auf das Schaffen zu schauen, ausgegrabene Schätze zu bewundern und hättewärewenn zu denken macht jedenfalls viel Spaß. Unbedingte Kaufempfehlung, ganz klar. Natürlich sind wir im höchsten Maße befangen, aber wer wäre das nicht ob der verwunschenen Schönheit dieser Lieder?
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