Freitag, 3. Februar 2017
Die Damen und Herren des Orchesters - Zweihundert Jahre ohne Erfolg
Die Damen und Herren des Orchesters - Zweihundert Jahre ohne Erfolg | VÖ 08.02.2017 |
Zweihundert Jahre sind ein verdammt langer Zeitraum, der die Qualität einer Idee ausgiebig testet.
Anfang 1817: Karl Drais baut seine Laufmaschine. War das ein Erfolg? Nach einem kurzen Hype verschwand das Teil wieder von den Straßen, und es dauerte über vierzig Jahre, bis mal jemand auf die Idee kam Pedale zu montieren. Zweihundert Jahre später ist es DAS Fortbewegungsmittel, und wer gerade diesen Text liest, hat mit ziemlicher Sicherheit mindestens eines davon zu Hause parat (oder 3,3, wenn man in Münster wohnt).
Anfang 1817: Mary Shelley ist kurz davor ihren Frankenstein und sein vegetarisches Monster fertig zu erschaffen. Was mag sie zu diesem Zeitpunkt gedacht haben? „Wer will das überhaupt lesen?“ „Ist das nicht alles etwas radikal, aber in zweihundert Jahren werden die Leute es ganz super finden?“ Wer weiß. Der Stellenwert im 21. Jahrhundert und die visionäre Kraft waren sicher nicht vorstellbar.
Anfang 1817: Franz Schubert komponiert ‚Die Forelle‘. Für ihn vielleicht nur eines seiner 600 Lieder, aber für uns auch zweihundert Jahre später sein Smashhit. Ob ihm das was bedeutet hätte? Er hat den Rock‘n‘Roll gelebt, und wenn dieser Punk schon von seinen Zeitgenoss*innen sicher des öfteren skeptisch beurteilt wurde, so wird ihm wohl auch sein Nachwirken im Jahr 2017 scheißegal gewesen sein.
Anfang 2017: Es erscheint das erste Album von Die Damen und Herren des Orchesters, einer Band aus dem südlichen Raum des Bundeslandes Aldi-Süd. Wird sich dieses Album mit dem Namen Zweihundert Jahre ohne Erfolg in diese Aufzählung einreihen und 2217 unverzichtbares Kulturgut sein? Nein, das ist nicht anzunehmen, aber sorgen wir uns nicht um den späten Ruhm. Die Frage sollte vielmehr lauten, ob 2017 damit etwas anfangen kann. Das Jahr riecht nach Apokalypse, Revolte und kämpferischem Liedgut. Wer das sucht, sucht vergebens. Die Musik mag flott und punktauglich sein, doch die Texte sind persönlicher, schielen eher auf Melancholie als auf Krawall. Persönliches, zwischenmenschliches Drama steht größtenteils im Mittelpunkt. Verlust, Tod, Abseitiges. „Unter den Dingen stehen“, wie es in „Winfried“ so schön heißt, mag wohl der rote Pfaden der Liedersammlung sein. Reichlich morbide hastet der erste Teil der Platte von einem Lied zum nächsten, mit endzeitlichen Zeilen wie „Was gibt es Schöneres, als einfach zu gehen? Es gibt nicht Schöneres, als sich nie wieder zu sehen? („Engel“) oder „Unheilvolle Dinge nahen heran. Beständigen Schritts gehen sie ihren Gang. („An den Pforten zur Hölle“).
In der zweiten Hälfte geht es im Grunde genauso weiter, wobei bis zu zwei Lieder garnicht so abgründig sind wie der Rest, die müssen aus Versehen dazwischen geraten sein. Anspieltipp für Menschen mit der Aufmerksamkeitsspanne für nur ein Lied soll „Wer trägt meine Sachen raus“ sein, eine recht repräsentative und eingängige Melange aus allen Zutaten zum Album.
Fazit: Das zartbesaitete Gemüt sollte Abstand vom Album nehmen. Wer Texte über Tod, Tod, Tod und devotes Beziehungsverhalten auf Albumlänge erträgt, kann allerdings ruhig zugreifen. In einer Balladenversion wäre das Machwerk schwer erträglich, aber die musikalische Umsetzung ermöglicht den Musikgenuss sogar am Stück, ohne mal zwischendurch Stimmungsaufheller nehmen zu müssen. Oder sagen wir fast ohne Stimmungsaufheller. Zum Serotoninausgleich sind 50g Schokolade pro 10 Minuten Album empfehlenswert.
Und was wird aus dem Erfolg? Die Zukunft bleibt ungewiss, doch es möge gerne ein Exemplar des Albums in einer Zeitkapsel deponiert werden, datiert auf das sicherlich total heitere Jahr 2217. Hätte Franz Schubert eine Zeitkapsel fürs Jahr 2017 gebunkert, wir wären entzückt.
Die Damen und Herren des Orchesters haben Facebook. Das Album ist bei flight13.com kaufbar.
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